ZWISCHEN ERFOLG UND ANGST

Helmut Pfleger: Biographie eines umtriebigen Lebens


VON HARRY SCHAACK

Helmut Pflegers Schachzimmer
Helmut Pfleger in seinem Schachzimmer (© Harry Schaack)

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 1/24.)

ls ich Helmut Pfleger in seinem Haus in Waldperlach, einem an der Stadtgrenze gele­genen Münchner Ortsteil, an einem sonnigen Tag im Februar besuche, wartet er schon an der Tür auf mich. Er strahlt eine innere Ruhe aus, die Begrüßung ist herzlich. Es ist schon zwanzig Jahre her, dass ich dort das letzte Mal mit ihm ein Interview für Karl geführt habe. Damals kannten wir uns noch nicht gut, mittlerweile haben wir ungezählte Ver­anstaltungen gemeinsam besucht. Vielleicht auch deshalb spricht Pfleger während
unserer Treffen viele Stunden ungewohnt offen über sein facettenreiches Leben.
Dass er Achtzig ist, merkt man ihm nicht an. „Ich bin beweglich wie ein junges Mädchen“, sagt er lachend. Jeden Morgen macht er seine Yoga-Übungen, die ihm ebenso wichtig sind wie seine Meditation am Abend. Seine Physis ist ausgezeichnet. Fast noch bemerkenswerter ist seine mentale Ausdauer, seine Konzentration, seine innere Energie. Die hat ihn schon immer getrieben, gestattet es ihm aber auch, viele Stunden intensiv mit mir zu sprechen, ohne zu ermüden.
Ein gesundheitliches Problem hat Pfleger aber doch: Das Herz. Er leidet seit vielen Jahren unter einem Vorhofflimmern, das jetzt zu einem Vorhofflattern geworden ist. Die Arrhythmie hat Pfleger erstmals beim Simultanspielen vor 20 Jahren bemerkt. Er fühlte sich sehr unwohl, dachte an einen Infarkt. Heute hat er gelernt damit umzugehen. Jetzt hat er einen Schritt­macher und nimmt Medikamente. Gerade eben hat er eine Kardioversion durch­führen lassen. Doch nach erster Besserung, ist das Problem zurückgekehrt. „Es ist nicht angenehm, aber man kann damit leben“, sagt er gelassen.
Dieser stoische Umgang mit seinem Herzproblem war einen großen Teil seines Lebens undenkbar. Früher litt Pfleger unter einer „riesigen Todesangst“, die ihn existentiell besetzte. Viele Jahre hat er sehr intensiv dagegen angekämpft. Langsam, fast unmerklich ist es besser geworden. „Obwohl ich heute nah an der Schwelle des Todes stehe, ist diese Angst fast verschwunden. Das hat sicherlich viel mit meiner spirituellen Entwicklung zu tun.“ Heute hat er mehr „Gottvertrauen“. Und er kann loslassen: „Okay, dann stirbt der Körper eben. Das ist der Lauf der Dinge.“

Zu Beginn meines Besuches zeigt Pfleger mir sein Haus, in dem er mit seiner thailändischen Frau Sunanta und deren Sohn wohnt. Sein Arbeitszimmer. Den Medi­tationsraum. Das Schachzimmer, das er im Keller eingerichtet hat und das ihm „lieb und teuer“ ist. Hier steht, hängt und liegt sein gesammeltes Schachleben. In der Mitte des Raumes ein zwei-mal-zwei Meter Schachbrett mit großen originellen Keramikfiguren, die einst eine Künstlerin für ihn angefertigt hat. In den Regalen stehen Pokale, die große Schale für die Deutsche Vizemeisterschaft 1963 neben zahlreichen Auszeichnungen wie dem Medienpreis „Goldener Gong“, den er für seine Fernsehschachberichterstattung 1981 erhalten hat. An den Wänden hängen Plakate, von einem Ländermatch 1971 zwischen der Bundesrepublik und Rumänien, das Land, für das seine erste Frau Doina spielte. Oder vom schachspielenden Che Guevara und von Turnieren in Kuba, dem Land, aus dem seine zweite Frau Milagros kam. Dann Bilder von seinen medizinischen Schach­untersuchungen, von seinen Fern­seh­auftritten, von Dortmund, wo er jahre­lang das Großmeisterturnier kommentiert hat. Von dem ersten ernstzu­nehmenden Mensch-­Maschine-Match 1979, das Pfleger im Fernsehen live moderierte. Im Regal stapeln sich seine eigenen Publi­ka­tionen, Schachspiele, die er aus aller Welt geschenkt bekam, einige davon von befreundeten Großmeistern wie das farbige Set, mit dem Adorjan seine Schüler unterrichtete, damit sie die Figuren besser unter­scheiden konnten. Außerdem noch seine „bescheidene“ Schachbibliothek, die Raymond Keene einmal als „hopelessly defective“ bezeichnete.
In einer Ecke steht ein Bett, in dem schon etliche Prominente und Weltklassespieler übernachtet haben, vom Moderator Reinhold Beckmann bis zu Freunden wie Eugene Torre, Zoltan Ribli oder Ulf Andersson. Dieses Zimmer ist Sinnbild für die Gastfreundschaft Pflegers.

Helmut Pfleger
Helmut Pfleger beim CCI-Treffen in Altenburg 2016 (© Harry Schaack)

 

Helmut Pflegers Leben war durch ebenso viele Freiheiten und Erfolge wie Zwänge und Ängste geprägt. Oft ist es ihm ge­lungen, Berufliches, Schachliches und Privates zu verbinden. Alles ist so ineinander verwoben, das man es schwer trennen kann.
Obwohl seine Interessen breit gestreut sind und er sich in vielen schachlichen Tätigkeiten erfolgreich probiert hat, wurde er in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht irgendwann allzu sehr auf seine Fernsehtätigkeit reduziert, mit der er bundes­weit bekannt geworden ist. Da­rüber vergisst man fast, dass er Mitte der Siebziger einer der stärksten Amateure der Welt war, auch weil seine Erfolge mittlerweile 50, 60 Jahre zurückliegen.
Pflegers Alltag ist bis heute mit enormer Energie verbunden. Während sich andere mit zunehmendem Alter aus der Öffentlichkeit sukzessive zurückziehen, ist Pfleger noch sehr präsent. Er reist durchs Land, hält Vorträge, spielt Simultan, schreibt wöchentlich Kolumnen und nimmt Wohltätigkeitsfunktionen wahr. Und er ist oft in seiner Heimatstadt Bamberg, regelmäßig in Berlin, von wo seine Familie abstammt, und in Teplice, wo er geboren wurde.
Doch bei all seinen Tätigkeiten ist ihm heute am wichtigsten, sich nicht in zu vielen äußeren Dingen zu verlieren. Er will „bei sich bleiben“.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 1/24.)