EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

als ich in den siebziger Jahren mit dem Schach gerade begonnen hatte, kann ich mich noch sehr gut an eine spektakuläre Schach-Liveübertragung im Fernsehen erinnern. Der schottische IM David Levy spielte gegen einem Schachcomputer, der mit einem riesigen Roboterarm seine Züge selbst ausführte. Moderiert wurde die Sendung von Helmut Pfleger. Es war das erste Mal, dass ich ihn auf dem Bildschirm sah. Da ahnte ich noch nicht, dass er mich noch fast dreißig weitere Jahre bei jedem schachlichen Großereignis medial begleiten wird. Er wurde das Gesicht des Schachs im Fernsehen.
Als wir viel später für die erste Karl-Ausgabe bei den Chess Classic in Mainz Werbung machten, schloss Pfleger – nicht wissend, was aus dem Projekt werden wird – sofort ein Abo ab, so dass er zu unseren ältesten Unterstützern gehört. Seither haben wir ungezählte Veranstaltungen gemeinsam besucht.
Obwohl Pfleger eine der bekanntesten Schach-Persönlichkeiten Deutschlands ist, wollte er nie eine Autobiographie schreiben und auch nicht sein Leben von anderen aufzeichnen lassen. Umso erstaunter war ich, dass er für einen Karl-Schwerpunkt ohne Zögern eine Zusage gab. Im Rahmen einer Zeitschrift sei das etwas anderes …
Deshalb widmet sich diese Ausgabe anlässlich des 80. Geburtstags von Pfleger, den er letztes Jahr feierte, seinem facettenreichen Leben. Der biographische Text ist durch lange Interviews entstanden, die ich im Februar mit Helmut Pfleger in seinem Münchner Haus geführt habe. Dabei sprach er erstaunlich offen über sein Leben, das neben großen Erfolgen durch tiefe Krisen gekennzeichnet ist, die er erst durch die Hin­wendung zur indischen Philosophie überwand. Dadurch ist ein sehr persönliches Porträt entstanden, mit vielen Fakten, die so noch nie veröffentlicht wurden.
Pfleger hat es stets verstanden, seinen Beruf, seine Schachleidenschaft und sein soziales Engagement fast untrennbar miteinander zu verbinden. Mit seinen Schachsendungen im Fernsehen hat Pfleger ein Millionenpublikum erreicht. Bei allem Segen war dieser Erfolg auch ein Fluch, denn Pfleger wurde irgendwann in der öffentlichen Wahrnehmung allzu sehr auf diese Rolle reduziert. All seine anderen vielfältigen Tätigkeiten gerieten in den Hintergrund, auch wenn seine Kolumnen in der Zeit und in der Welt am Sonntag bis heute viele Leser finden.
Dabei vergisst man fast, das Pfleger von den sechziger bis in die achtziger Jahre hinein zu den Führungsspielern Westdeutschlands zählte. Er hat einige bemerkenswerte Erfolge erzielt, aber sein Abschneiden bei den Olympiaden und die drei Deutschen Meister-Titel, die er mit seinem ausschließlich aus Amateurspielern bestehenden SC Bamberg errang, stechen besonders heraus.
Mihail Marin hat sich mit dem Spielstil Pflegers beschäftigt und überrascht fest­gestellt, dass er in der Lage war, gegen absolute Weltklassespieler so zu spielen wie seine Gegner. Das hat zu einigen Glanzpartien gegen Kontrahenten wie Kortschnoi, Larsen und Polugajewski geführt.
Der Achtzigjährige ist bis heute erstaunlich fit und immer noch voller Energie. Während andere sich mit zunehmendem Alter langsam aus der Öffentlichkeit zurück­ziehen, hat sich Pfleger dazu entschieden, in reger Tätigkeit seinen Lebensabend zu verbringen.

Harry Schaack