MANN VIELER TALENTE

Von Harry Schaack

Kavaleks "Life at Play"

Lubomir Kavalek,
Life at Play. A Chess Memoir,
New In Chess 2022,
Hardcover, 349 S., 34,95 Euro

(Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Schach Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Lubomir Kavalek plante eine zweibändige Autobiografie samt Partiensammlung. Doch dann erlag er am 18. Januar 2021 im Alter von 77 Jahren einem Krebsleiden, ohne die Arbeit vollendet zu haben. Mithilfe seiner Frau und dem Bearbeiter Jan Novak gelang jetzt doch noch die Veröffentlichung, erst auf Tschechisch, und letztes Jahr in deutlich er­weiterter Form bei New In Chess.

Diese Biografie ist keine egozentrische Nabel­schau. Sie ist ein zuweilen intimer Einblick in das Leben eines vielfältigen Schachspielers, der einige harte Zäsuren in seinem Leben zu be­wältigen hatte. Kavaleks Leben war ebenso bewegt wie erfolgreich: Flucht in den Westen, schachlich in den Top Ten, Trainer und Sekundant, bedeutender Turnierorganisator. Und nicht zuletzt ein mit Preisen ausgezeichneter Schachjournalist. Deshalb wundert es nicht, dass der Text in Häppchen aufgeteilt ist, die nicht länger sind als eine Kolumne.

Wie viele gute Schachspieler ist auch Kavalek ohne Vater aufgewachsen, der kurz nach Kriegsende in den amerikanischen Sektor nach Deutschland flüchtet und Frau und Kind in der Tschechoslowakei zurücklässt. Erst 15 Jahre später wird Kavalek ihn wiedersehen, heimlich bei der Olympiade in Tel Aviv.

Die Flucht des Vaters wird der Familie die nächsten 20 Jahre immer wieder vorgeworfen. Kavaleks Verhältnis zu seiner Heimat CSSR war zwiespältig. Immer wieder hat er Probleme mit Funktionären, insbesondere mit seinem Antipoden Pachman.

In den sechziger Jahren kommt die schachliche Karriere Kavaleks in Schwung. Er wird schnell bekannt, weil er ein brillanter Angriffsspieler ist und seine spektakulären Partien mit zahl­reichen Schönheitspreisen ausgezeichnet werden. Bei der Studentenolympiade 1962 gelingt ihm ein Sieg gegen Gufeld, den der amerikanische Autor Soltis später zur sechstbesten Partie des Jahrhunderts erkor.

Weil er sich zu sehr dem Schach widmet, wird Kavalek 1966 exmatrikuliert. Er beginnt für eine Zeitung zu schreiben, eine Tätigkeit, die ihn bis an sein Lebensende begleiten wird. Mit seinem journalistischen Talent schildert er bei seinen schachlichen Berichten oft auch die Rahmen­bedingungen oder persönliche Er­lebnisse, wodurch Texte entstehen, in denen das Menschliche einen bedeutenden Raum einnimmt.

In den Wirren des Prager Frühlings erhält Kavalek ein Ausreisevisum, das ihm nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen dazu verhilft, legal auszureisen, seinen Vater zu treffen und in Westdeutschland eine neue Existenz aufzubauen. Der Sponsor Egon Evertz holt ihn nach Solingen, wo Kavalek 21 Jahre in der Bundesliga spielt, was für ihn fortan eine wichtige Einnahme­quelle ist. Später heiratet er in Ober­haching, wo Helmut Pfleger sein Trauzeuge ist.

1968 gewinnt Kavalek das starke IBM-Turnier in Amsterdam vor Bronstein, was ihn in die erweiterte Weltspitze katapultiert. Anfang der Siebziger ist Kavalek besonders erfolgreich und gehört 1974 zu den Top Ten.

Der große Showman Koltanowski überzeugt ihn, es in den USA als Schachprofi zu ver­suchen. Als Kavalek 1970 in die USA emigriert, beginnt er russische Literatur zu studieren und wird Hörfunkreporter für Voice of America. 1981 schreibt er über das Karpow-Kortschnoi-­Match für den Spiegel. Während des dritten Kasparow-­Karpow-Matches verpflichtet ihn die Washington Post, wo seine Schach-Artikel mehrfach auf der ersten Seite erscheinen – und nach dem Match schreibt Kavalek 24 weitere Jahre für das Blatt. 2005 und 2006 wird seine Kolumne von den Chess Journalists of America zur Best Regular News­paper Column gekürt. Darüber hinaus schreibt Kavalek ab 2010 wöchentlich Schachkolumnen für das Online-Medium Huffington Post.

Auch als Sekundant macht er sich einen Namen, zuerst in Reykjavik 1972, wo er Fischer sekundiert, nachdem der sich mit Lombardy überworfen hatte. Mit Fischer verbindet Kavalek eine lange Freundschaft, die auch noch nach dem Verschwinden des Amerikaners aus der Öffentlichkeit anhält. Fischer hat ihn mehrfach besucht und Kavalek ist auch in die letztlich erfolglose Vorbereitung des Matches gegen Karpow involviert.

Ende der Siebziger ist Kavalek Sekundant von Hübner, 1982 Team-Captain der Weltauswahl im Match gegen die UdSSR und 1988 in der Spielerorganisation GMA tätig. Ab 1990 beginnt die Zusammenarbeit mit Short, die 1993 während des WM-Kampfes mit Kasparow endet, als beide im Streit auseinander gehen. Mit diesem Zerwürfnis reißt die Aufzeichnung ab. Die restlichen dreißig Jahre seines Lebens aufzuschreiben, blieb dem Autor nicht vergönnt.

Kavaleks freundschaftliche Beziehungen zu Regisseuren wie Oscargewinner Milos Forman, den er bei dessen letztlich nicht zustande gekommenen Filmprojekt über Fischer und Spasski unterstützte, bringen Glamour ins Buch. 1979 inspiriert ein anderer Regisseur, Ivan Passer, Kavalek dazu, selbst ein Turnier in Montreal zu organisieren, das dann mit 100.000 Dollar das bei weitem höchste Preisgeld aufbot, das es bis dahin gegeben hatte.

Life at Play enthält nicht nur eine ganze Reihe brillanter Partien. Die kurzweilige Lektüre unter­hält den Leser auch mit vielen, wenig bekannten Inneneinblicken in die Schachgeschichte.