DAS HAT DER MANN NICHT VERDIENT!

Michael Dombrowsky, der zuletzt die Bücher Berliner Schachlegenden und Cambridge Springs 1904 vorgelegt hat, steht kurz vor der Veröffentlichung seiner Sämisch-Biografie. HARRY SCHAACK sprach mit dem Schach­historiker über sein Buchprojekt, an dem er fünf Jahre gearbeitet hat.

 

Michael Dombrowsky
Michael Dombrowsky

KARL: Herr Dombrowsky, sind Sie Sämisch noch persönlich begegnet?

MICHAEL DOMBROWSKY: Ich habe ihn fünf Mal getroffen. Das erste Mal Anfang der Sechziger Jahre in Wilmersdorf bei einem Schnellturnier. In der Mittagspause zog sich Sämisch mit Teschner, Darga und Dr. Lehmann zurück, um – Bridge zu spielen. Er sah damals klein und hutzelig aus und hatte keine Zähne mehr. Dass er eine Legende ist, wurde mir erst viel später bewusst.

Was hat Sie motiviert, diese Biografie zu schreiben?

Ich hatte mich darüber geärgert, dass über Sämisch kaum etwas vorhanden war, nur ein Buch von Wieteck, in dem kaum ein Dutzend Seiten über dessen Leben zu finden war. Und im Zuge meiner Recherche an den Berliner Schachlegenden bin ich auf einige neue Aspekte im Zusammenhang mit Sämisch gestoßen, die mich zu einer tieferen Auseinandersetzung ermuntert haben.

Wie würden Sie Sämisch beschreiben?

Sämisch lebte bescheiden, zockte nicht, trank keinen Alkohol und ernährte sich eigentlich nur von Kaffee und Zigaretten. Man kann ihn nicht als sehr zugänglich bezeichnen, kein Kumpel­typ, eher distanziert. Zwar konnte er eine große Zuschauermenge mit seinen glänzend erzählten Anekdoten unterhalten, aber er wollte auch nicht von den Leuten vereinnahmt werden. Er sprach ziemlich schnell und sprang in den Themen. Befreundet war er in späten Jahren mit Harald Lieb und Dr. Heinz Lehmann, die ihn auch finanziell unterstützten, als er verarmt war. Sämisch war nett, aber nicht sehr emotional.

Was ist das Besondere an Sämischs Schachleben? Mir erscheint er irgendwie rast- und heimatlos.

Die große Masse an Veranstaltungen, die Sämisch gespielt hat, ist schon ungewöhnlich. Er gab teilweise fast jeden Tag Simultan- und Blindvortellungen, noch als er über Sechzig war, weil er das Geld brauchte. Er hatte erst relativ spät mit dem Berufsschach begonnen, spielte mit 22 seine erste Turnierpartie und hatte immer das Gefühl, er müsse etwas nachholen.

Was waren Ihre größten Entdeckungen zu Sämischs Leben?

Die Akten im Bundesarchiv zu finden, anhand derer ich den Fall Sämisch (vgl. S. 30) klären konnte. Der Schachhistoriker Andreas Saremba, der über eine andere Angelegenheit dort recherchierte, machte mich auf eine Aktennotiz aufmerksam, die sich als Voll­treffer erwies. Außerdem konnte ich im Berlinarchiv klären, dass Sämisch drei Vornamen hatte und außerdem seine gesamte Familie rekonstruieren. Von seinen sechs Geschwistern sind drei den Kindstod gestorben. In der Wehrmachtsauskunftsstelle habe ich detaillierte Informationen über Sämischs Kriegsverletzungen erhalten. Unbekannt war auch das letzte Turnier, das Sämisch in Biel 1972 gespielt hat.

Das Buch zeigt auch eine Vielzahl von Fotografien, die nicht allzu bekannt sind …

Ganz besonders hat mich der Bochumer Schachsammler Hans-Jürgen Fresen unterstützt, der zahlreiche Sämisch-Bilder besitzt, die zuvor noch nie veröffentlicht wurden. Auch viele unbekannte Dokumente oder der Original-Notationszettel der Partie Sämisch – Réti von Dortmund 1928 sind zu sehen.

Welche Dinge konnten Sie nicht klären, wo sind noch dunkle Stellen in Sämischs Biografie?

Angeblich hat Sämisch einmal ein Buch geschrieben, das zwar bei De Gruyter ange­kündigt, aber nie veröffentlicht wurde, was sich über den Verlag nicht mehr klären ließ. Außer­dem blieben die wirklichen Gründe für Sämischs Freispruch im Prozess 1944 unklar, weshalb ich mutmaße, dass der Leiter des „Generalgouvernements“ Hans Frank involviert sein könnte, was aber nicht zu belegen ist.

Auch von Sämischs Tod ist wenig bekannt.

Sämisch hatte ein seltsames, wahrscheinlich schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter. Ich vermute, er hat den Platz seiner Mutter im Heim des Samariterbundes übernommen, nachdem sie ver­storben war. Wo Sämisch begraben wurde, ließ sich nicht herausfinden, weil das Heim seit 2008 nicht mehr existiert. Auch ein Armengrab ist nicht ausgeschlossen.

Wie haben Sie Ihr Buch aufgebaut?

Ich erzähle Sämischs Leben chrono­logisch, auch weil ich stets den historischen Kontext zeigen will, Krieg, Inflation, Nationalsozialismus. Ich hab mich auch bemüht, Sämischs Charakter herauszustreichen.

Nach meiner recht gründlichen Untersuchung umfasst meine Turnierliste von Sämisch 215 Veranstaltungen, Simultan- und Blindsimultan ausgenommen. Trotzdem sollte das Buch keine wissen­schaftliche Schwarte werden, sondern ein Lesebuch, das unterhalten soll.

Wann wird es erscheinen?

Der Inhalt ist fast fertig und Ulrich Dirr ist mit seinem Layout fast durch. Ich bin gerade im Kontakt mit Druckereien. Es sollte in Kürze auf den Markt kommen.