SPIELER OHNE STIL

Juri Awerbach gilt eigentlich als positioneller Spieler. Aber MIHAIL MARIN stellte bei der Untersuchung seines Spielstils fest, dass diese Auffassung schwerlich zu halten ist. Awerbach findet sich in jeder Stellung zurecht und sollte besser als Universalist bezeichnet werden.

(Übersetzung aus dem Englischen von Harry Schaack)

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 1/22.)

Juri Awerbach
Juri Awerbach 2011 (© Harry Schaack)

Während der Schach­olympiade in Elista 1998 hatte ich Gelegenheit, meine bereits reichhaltige Schachbiblio­thek mit einer Reihe alter sowjetischer Bücher zu bereichern. Eines Tages, gleich nach dem Kauf des Turnierbuches der 21. Sowjetischen Meisterschaft von 1954, wurde meine Aufmerksamkeit von der vertrauten Silhouette eines der größten Schiedsrichter angezogen. Ich näherte mich ihm, und bat ihn um ein Autogramm. „Horoschaja kniga” (Ein gutes Buch) kommentierte er, während er auf Russisch „An Mihail Marin, mit den allerbesten Wünschen“ schrieb und mit „Yu Awerb“ unterschrieb. Die Verwirrung, die sein Kommentar auslöste, verschwand wenig später, als ich das Buch durchsah –denn es war das Jahr, in dem Juri Lwowitsch die UdSSR-Meisterschaft gewann.

Abgesehen von Awerbachs soliden, aber alles andere als spektakulären 13,5/28 beim berühmten Kandidatenturnier in Zürich 1953 und der Tatsache, dass er Mitautor und Herausgeber einer fünfbändigen End­spielmonographie war, wurde mir klar, dass ich nicht viel über ihn wusste.

Kurz nach der Olympiade beschloss ich, diese Lücke zu schließen, und begann täglich seine Endspielbücher zu studieren. Als jemand, der nicht oberflächlich an die Dinge herangeht, widmete ich mehr als ein Jahr dem Studium dieser Bände, bei einigen von der ersten bis zur letzten Seite. Ich habe jede Stellung mindestens zweimal nur durch Lesen und einmal durch Nachspielen der Züge auf dem Brett unter­sucht. Irgendwann fiel mir auf, dass Awerbach selbst eine andere Methode empfahl. Wenn eine Analyse oder eine Partie am Brett in ein bestimmtes Endspiel mündet, kann man im Buch nach ähnlichen Stellungen suchen. Für mich funktionierte die Ursache-Wirkungs-Kette umgekehrt. Je mehr ich lernte, desto häufiger fand ich die entsprechenden End­spieltypen in meinen Partien und konnte so mein neu erworbenes Wissen effektiv nutzen!

Darüber hinaus war ich beeindruckt von dem hohen intellektuellen Niveau des allgemeinen Diskurses. Typische Aspekte und versteckte Nuancen werden sprachlich knapp aber prägnant beschreiben. Das Material fließt in einer Weise, die es dem aufmerksamen Leser ermöglicht, nachzuvollziehen, wie kleine Stellungsveränderungen einen Unterschied in den gegenseitigen Plänen und der allgemeinen Bewertung ausmachen können.

Besonders beeindruckt hat mich die Art und Weise, wie Awerbach die Bedeutung und den relativen Charakter des Raums im Endspiel aufzeigt. Im Mittelspiel ist der Gedanke einseitig: Je weiter die eigenen Figuren und Bauern nach vorne gestoßen werden, desto mehr Raum hat man. Es sieht jedoch völlig anders aus, wenn nur wenige Figuren auf dem Brett sind.

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 1/22.)