ZWISCHEN DEN STÜHLEN
Bogoljubows schwieriges Verhältnis zu Deutschland
Von Michael Dombrowsky und Harry Schaack
(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 1/21.)
ZIVILINTERNIERUNG
Am 1. August 1914 veränderte sich das Leben von Millionen Menschen dramatisch, so auch das von Efim (s. Anm. 1) Dmitrijewitsch Bogoljubow. Nach der Kriegserklärung von Kaiser Wilhelm II. an seinen Neffen, den russischen Zaren Nikolaus II., brach auch bei so stillen Veranstaltungen wie dem 19. Kongress des Deutschen Schachbundes in Mannheim das Chaos aus. Nach nur elf von 17 Runden entschied man sich für den Abbruch. Während Spieler aus neutralen Ländern die Heimreise antreten durften, erlebten die russischen Teilnehmer ein Martyrium, das sich noch vier Jahre hinziehen sollte.
So hatte sich Bogoljubow seinen ersten Auftritt auf der internationalen Schachbühne sicherlich nicht vorgestellt. Als potenzieller Spion wurde er mit anderen russischen Teilnehmern, darunter auch der Mannheimer „Sieger“ Aljechin, nach einigen Zwischenstopps in Triberg zivilinterniert. Bei dieser Überführung in den Schwarzwald wurde die Gruppe überwiegend feindselig behandelt, was bis zur Gefahr von Lynchjustiz reichte.
Zivilinternist sein bedeutete: Wer seine Unterkunft und seinen Unterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten konnte, musste nicht in ein Lager. Obwohl Bogoljubow wenig Geld hatte, überstand er die viereinhalb Jahre, ohne in ein Lager einquartiert zu werden. In Triberg ging es den Spielern wohl relativ gut, denn sie konnten zahlreiche Turniere und Matches spielen. Boris Maljutin, mitinternierter wohlhabender Präsident des St. Petersburger Schachklubs, organisierte irgendwie die Preise, von denen Bogoljubow weitestgehend seinen Lebensunterhalt bestritt.
Eigentlich ist es bemerkenswert, dass sich Bogoljubow nach dieser „gewaltsamen Einbürgerung“ bald in Deutschland recht wohl fühlte und beschloss, nicht mehr nach Russland zurückzukehren. Diese erste Episode macht bereits das schwierige Verhältnis zwischen Bogoljubow und Deutschland deutlich, eine Geschichte von Annäherung und Abstoßung, die sein Leben bestimmen wird.
Doch Bogoljubow hatte bereits den entscheidenden Schritt getan, der ihn für immer in Triberg binden wird: Mit Frieda Kaltenbach hatte er eine Freundin gefunden.
Als das Deutsche Kaiserreich im November 1918 kapitulierte, suchte Bogoljubow nach Einnahmequellen. Schweren Herzens verabschiedete er sich von seiner Freundin mit dem Versprechen, etwa in einem Jahr zurückzukommen. Dann brach er mit seinem Kumpel Selesnjow auf ins Schach-Mekka Berlin, wo ja schließlich Frieden herrschen sollte. Der Verleger und Turnierorganisator Bernhard Kagan hatte sie mit einem kleinen Turnier gelockt, aber sie über die aktuelle politische Lage im Unklaren gelassen. Die Novemberrevolution warf 1919 ihre Schatten in den Februar, sodass beim Viererturnier in Berlin noch Straßenkämpfe herrschten.
In jenen Tagen lernte Bogoljubow Sämisch kennen, der gerade aus der Wehrmacht entlassen worden war und beschlossen hatte, seinen Lebensunterhalt als Schachprofi zu bestreiten. So bildete Bogoljubow mit ihm für fast ein Jahr eine Wohngemeinschaft.
Bogoljubow spielte zwischen 1919 und 1920 viel, erst in Berlin, dann in Schweden. 1920 verlor er einen Wettkampf gegen Rubinstein knapp mit 6,5:5,5, später gewann er gegen Nimzowitsch 3:1. Beim großen Berliner Turnier 1920, das zum Triumph von Gyula Breyer wurde, der schon ein Jahr später verstarb, teilte Bogoljubow den zweiten Platz mit Tartakower. All das zeigte, dass sich Bogoljubow, der vor dem Krieg noch ein unbeschriebenes Blatt war, stark verbessert hatte und mittlerweile auch mit Topspielern mithalten konnte.
Mit einem Batzen Preisgeld kehrte Bogoljubow im Frühjahr 1920 nach Triberg zurück, heiratete Frieda Kaltenbach, mit der er bald zwei Töchter hatte. Die Familie wurde Bogoljubows Lebensmittelpunkt, nach Jahren der Unsicherheit während des Ersten Weltkriegs wurde sie zum Ruhepol seiner Existenz. Nach seiner Heirat begannen die erfolgreichsten Jahre seiner Karriere.
Bogoljubow ist es zu verdanken, dass Triberg 1921 kurzzeitig zu einem Schachmekka wurde. In diesem Schwarzwälder Örtchen fanden zwei kleine, aber hochkarätig besetzte Turniere statt. Bei der ersten Auflage spielten Aljechin (Sieger), Sämisch und Brinkmann. Bei der zweiten, vierrundigen Veranstaltung im Dezember, die vom schwedischen Schachmäzen Collijn großzügig gesponsert wurde und bei der Aljechin die Turnierleitung inne hatte, waren Rubinstein (Sieger) und Spielmann zu Gast. Bogoljubow belegte beide Male den zweiten Platz.
DURCHBRUCH UND SESSHAFTIGKEIT
Bogoljubow war endgültig in der Weltspitze angekommen, als „der jugendliche Russe“, wie Palitzsch den 33-Jährigen in der Deutschen Schachzeitung (DSZ) nannte, 1922 das Weltklasseturnier in Bad Pistyan (Piestany) vor Spielmann und Aljechin gewann. Der Sieg stellte Bogoljubow „in die erste Reihe der jetzt lebenden Schachmeister“.
Das Preisgeld war enorm. Zunächst wollte Bogoljubow davon seiner Frau einen Pelzmantel kaufen. Doch weil in Deutschland eine galoppierende Inflation herrschte und Frieda bereits schwanger war, entschloss sich das Ehepaar für eine solidere Investition. Sie legten mit Hilfe der gut situierten Schwiegereltern alle Ersparnisse zusammen, kauften eine Immobilie mitten in Triberg und richteten dort unter dem Namen „Haus Bogoljubow“ eine Pension ein (s. Anm. 2). Eine gute Entscheidung, da es für den Kaufpreis des Hauses gegen Ende der Inflation 1923 gerade noch ein Brötchen gab.
OPTIMISMUS UND SELBSTBEWUSSTSEIN
Bogoljubows Streben nach bürgerlichem Leben führte immer wieder zu Streitereien mit Veranstaltern, wird aber verständlicher, wenn man seinen familiären Hintergrund kennt. Bogoljubow, was im Russischen der „von Gott geliebte“ bedeutet, wurde als Sohn eines griechisch-orthodoxen Priesters am 13. April 1889 (s. Anm. 3) in Stanislawtschik in der Nähe von Kiew geboren. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf und sollte eine Laufbahn als Geistlicher einschlagen. Erst mit 15 Jahren erlernte er während der Studienzeit Schach, erkannte sein Talent, erreichte rasch eine beachtliche Spielstärke und landete so 1914 in Mannheim. Die Verhältnisse in seiner Jugend waren wohl ein Grund, dass seine Honorarforderungen oft überzogen waren, sodass Organisatoren auch schon mal abwinkten und auf seine Mitwirkung verzichteten. Im Vorwort seines kleinen Büchleins Schach-Schule formuliert Bogoljubow sein Lebensmotto: „Jeder ist seines Lebens Schmied!“ Und weiter: „Also arbeite fleißig, sorge selbst für Grundlagen Deines Aufstieges, sei ordentlich und Du wirst Deinen Lebensweg meistern!“
Auch am Schachbrett war Bogoljubows Auftreten von großem Selbstbewusstsein geprägt. Sein mächtiger Drang nach Aktivität und ein unerschütterlicher Optimismus, den er gelegentlich bis zur Übertriebenheit ausreizte, führten zu vielen Siegen, brachten ihm aber auch immer wieder unnötige Niederlagen ein. Bonmots wie „Mit Weiß gewinne ich, weil ich Weiß habe; mit Schwarz, weil ich Bogoljubow bin“ sorgten dafür, dass er nicht nur Fans hatte.
Theo Schuster schrieb in seinem Nachruf in Engelhardts Schach-Taschen-Jahrbuch 1953 allerdings über ihn: „… Bogoljubow verstand es wie kein Meister vor ihm, die Herzen und Zuneigung der breiten Masse der Schachspieler zu gewinnen! Auf seinen vielen Vorstellungen, die ihn bis in die kleinsten Flecken führten, war er nicht in erster Linie von großem Ehrgeiz beseelt. Es kam ihm eher darauf an, möglichst viele Anhänger für das königliche Spiel zu begeistern. Verlor er dann einige Partien beim Simultanspiel, so gab er mit gut gespielter Resignation seine Anerkennung: ‚Ja, die jungen Leute spielen heutzutage kolossal!‘“
Bogoljubow hatte bei seinen Simultanvorstellungen immer ein kleines Päckchen hübscher Postkarten mit Schachmotiven oder seinem Konterfei dabei, um den meist sehr wenigen Gewinnern mit großer jovialer Geste eine persönliche Widmung und sein berühmt gewordenes „Dem Sieger! Bravo!!! Bogoljubow“ schreiben zu können.
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