EDITORIAL

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,

vor 70 Jahren verlieh die FIDE Efim Bogoljubow den GM-Titel – doch noch, muss man sagen, weil man dem zweimaligen Vizeweltmeister noch ein Jahr zuvor bei der ersten Vergabe wegen seiner nationalsozialistischen Verstrickungen den Titel vor­enthielt.

Es mag für Bogoljubow typisch gewesen sein: Die Weltgemeinde schloss ihn nur zögernd wieder in die Arme. Ein Narrativ, das sich durch sein Leben zieht und das es schwer für ihn machte, seinen Platz zu finden. In der Ukraine geboren, besaß er die russische Staatsbürgerschaft. Als er in Mannheim an einem Turnier teilnimmt und der Erste Weltkrieg beginnt, wird er mit einigen anderen Spielern in Triberg im Schwarzwald interniert. Er lernt seine spätere Frau kennen, lebt fortan in Deutschland und wird 1929 Deutscher. Doch da er offiziell nicht „arischen Blutes“ ist, darf er nach der Macht­ergreifung der Nazis weder für die Nationalmannschaft spielen, noch an Deutschen Meister­schaften teilnehmen – obwohl er später sogar Mitglied der NSDAP wird.

Es passt ins Bild, dass die Recherche für dieses Heft zu Tage gefördert hat, dass Bogoljubows Grab in Triberg schon 2016 unbemerkt von der schachlichen Öffentlichkeit eingeebnet wurde.

Überhaupt ist es erstaunlich, wie wenig man bislang über Bogoljubows Leben weiß. Sein Wikipedia-Eintrag ist unzureichend und voller Fehler. Erst durch eine kürzlich erschienene Monographie von Grigory Bogdanovich ist bekannt geworden, dass Bogoljubow 1926 seine russische Staatsbürgerschaft zurückgegeben hat.

Weitgehend unklar blieb bislang auch, wie sich Bogoljubows Beziehung zu den Nazis genau konstituierte. Unser Autor Bernd-Peter Lange hat nun in Archiven einiges Neues über die Kontakte Bogoljubows mit führenden Nazis des Generalgouvernements herausgefunden.

Über das Generalgouvernement ist im Februar von dem Historiker Christian Rohrer auch eine andere wichtige Forschungsarbeit erschienen, die die Nähe Aljechins zum Dritten Reich untersucht. Die Online-Publikation wartet mit zahlreichen neuen Archivfunden auf und ordnet den 4. Weltmeister erstmals gesamthistorisch ein. KARL sprach mit dem Autor.

Sei noch bemerkt, dass KARL mit der vorliegenden Ausgabe sein 20-jähriges Jubiläum feiert. Seit 2001 sind 80 Ausgaben mit unterschiedlichen Schwerpunkten erschienen. Und noch ist nicht abzusehen, wann uns der Stoff ausgeht.

Am Schluss noch eine sehr traurige, unfassbare Nachricht: Unser Autor Jens Hüttmann ist völlig unerwartet mit nur 45 Jahren an Heilig Abend an einem Herzinfarkt verstorben. Ich habe selten einen so einfühlsamen, wohlwollenden und sympathischen Menschen kennengelernt. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.

Harry Schaack