ZEIT FÜR EINEN WECHSEL
Ein Interview mit dem Kandidaten für die FIDE-Präsidentschaft Bessel Kok
Ausschnitt aus dem Flyer von „The Right Move“:
Links Ali Nihat Yazici, rechts Bessel Kok
Seit elf Jahren ist der amtierende Präsident des Weltschachverbandes, Kirsan Iljumschinow, im Amt. Er half der FIDE nach dem Rückzug von Florencio Campomanes aus einer schwierigen Phase wieder auf die Beine. Der Verband war pleite und Iljumschinow konnte mit seinem privaten Geld die finanziellen Löcher stopfen. Mittlerweile ist eine Dekade vergangen und die Bilanz ist nicht gerade erfreulich. Finanzstarke Sponsoren, die Geld ins Schach bringen, sind nach wie vor nicht in Sicht. Und die Spaltung der Schachwelt ist bis heute nicht aufgehoben, auch wenn Iljumschinow kürzlich das Wiedervereinigungsmatch zwischen Kramnik und Topalow verkündete. Allzuoft erwiesen sich die Versprechungen der FIDE noch als nichtig, sodass ein gewisses Misstrauen durchaus angebracht scheint. Auch sind die Qualifikationsstrukturen für kommende WMs nicht ausgearbeitet. Stattdessen gibt es seit einigen Jahren eine jährliche WM im KO-Format, was den Weltmeistertitel entwertet hat. Ferner wirft man der FIDE Willkür in Entscheidungen, wie z.B. zu den Spielmodi vor. Dazu gesellt sich mangelnde Transparenz. Bis heute sind viele Dinge zum bevorstehenden WM-Kampf nicht bekannt. So ist beispielsweise unklar, was passiert, wenn Iljumschinow nicht wieder gewählt wird.
Dennoch saß das Oberhaupt der russischen Enklave Kalmückien bislang fest im Sattel. Ist er doch in Ermangelung an Alternativen nach wie vor der einzige Geldgeber. Wirkliche Konkurrenten bei der Wiederwahl musste Iljumschinow nicht fürchten. Wenn sich einmal ein ernsthafterer Kandidat zur Wahl stellte, wurde ihm kurzerhand ein Amt im Vorstand angeboten wie zuletzt Ignatius Leong aus Singapur.
Wenn aber dieses Mal während der Olympiade in Turin ein neuer Präsident gewählt wird, wird es aller Voraussicht nach eine Kampfabstimmung geben. Denn mit Bessel Kok hat sich ein ambitionierter Gegenkandidat gemeldet. Der erfolgreiche Manager diverser Telekommunikationsfirmen ist finanziell unabhängig, hat glänzende Kontakte zur Wirtschaft und zu möglichen Sponsoren, kennt die Schachszene aus dem Effeff und pflegt zu vielen Großmeistern persönliche Beziehungen. In den Achtziger Jahren war er Vorsitzender der Grandmaster Association (GMA) und organisierte die gut dotierte Welt-Cup Turnierserie bis Anfang der Neunziger. 2002 war er maßgeblich an den Verhandlungen zur Prager Vereinbarung zur Wiedervereinigung beteiligt.
Zunächst gab es vier Bewerber um das Amt der Präsidentschaft (u.a. Anatoli Karpow), von denen nun nur noch Iljumschinow und Kok übrig geblieben sind. Der amtierende Präsident unterschätze wohl zunächst die Kampagne des Herausforderers, der von Beginn an sehr professionell auftrat. Zum zentralen Mitteilungsorgan wurde die Internetseite seiner „The Right Move for a Bona FIDE“ genannten Kampagne. Mit dem Präsidenten des türkischen Schachverbandes Ali Nihat Yazici fand er einen Mitstreiter, der sich schon durch die Organisation diverser Großveranstaltungen hervorgetan hat. Zudem wird Kok von zahlreichen Großmeistern wie Short, Seirawan oder Timman unterstützt.
Mit insgesamt acht ausgearbeiteten Positions-Papieren, die in den letzten Wochen auf der Website bereitgestellt wurden, machen Kok und sein Team konkrete Vorschläge zur Entwicklung des Breitenschachs, zu Organisations- und Telekommunikationsstrukturen, zu Ausbildungs- und Schulungsprogrammen für Trainer, zum Frauenschach, der Schachentwicklung in der„Dritten Welt“, zu den Strukturen der Weltmeisterschaft sowie zu Sponsoring und Marketing.
Iljumschinow merkte bald, dass ihm mit Kok ein ebenbürtiger Kandidat gegenübersteht. Daher entschloss er sich, unter „Chess Fidelity“ seine Kampagne ebenfalls auf einer Internetseite zu propagieren. Zuweilen nutzten die Kandidaten die Plattformen für gegenseitige Beschimpfungen. Der außenstehende Betrachter verliert bei so vielen Beschuldigungen schnell die Übersicht.
Bis zum letzten Tag werden beide Kandidaten kämpfen müssen. Beide haben auf ihren Webseiten eine Liste von unterstützenden Verbänden aufgeführt. Das eigentliche Problem liegt im Wahlverfahren der FIDE. Der ehemalige Präsident Campomanes machte es sich zur Aufgabe, so viele Staaten als möglich ins Boot der Weltorganisation zu holen. Bei diesem immensen Zuwachs vergaß man aber, die Regularien entsprechend anzupassen. Daher hat jeder Verband, ob er nun mehrere zehntausend Mitglieder zählt, wie der Deutsche, oder wenige hundert, wie etwa Belize, ob ein Land nun über eine Milliarde Einwohner hat, wie Indien, oder nur wenige Tausende, wie Luxemburg, nur eine Stimme. Und da in den letzten Jahren auch von Korruption immer wieder die Rede war, ist es äußerst schwierig, eine Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Es zeichnet sich jedoch jetzt schon ab, dass Kok weit mehr Schachspieler hinter sich vereinen kann als Iljumschinow, da er die mitgliederreichen Verbände hinter sich bringen konnte. Weil aber jeder Verband nur eine Stimme hat, könnte dies lediglich ein Pyrrhussieg sein.
Der Herausforderer Bessel Kok gab KARL wenige Tage vor der Wahl ein Interview zu seinen Aussichten.
KARL: Lassen Sie uns mit der wichtigsten Frage beginnen: Wie stehen Ihre Chancen kurz vor der Wahl?
BESSEL KOK: Ich denke wir haben eine 50%-Chance. Als ich mich vor etwa sieben Monaten mit einer kleinen Gruppe von Großmeistern dazu entschloss, mich zur Wahl für die FIDE- Präsidentschaft zu stellen, lachten wir über uns selbst. Denn wir befürchteten, es sei ein hoffnungsloser Sprung in den FIDE-Dschungel. Doch in den letzten Wochen ist unsere Zuversicht immer mehr gewachsen. Ich denke, es wird ein ganz knappes Rennen. Es sieht im Moment so aus, dass die noch unentschlossenen Verbände über den zukünftigen Präsidenten den Ausschlag geben. Das ist ein ungewöhnliches Phänomen. Ich denke es handelt sich um 35 Verbände, die noch zögern, wem sie ihre Stimme geben sollen.
Auf Ihrer Website „The Right Move“ schreiben Sie, Ihr Konkurrent Chess Fidelity habe auf seiner Seite unterstützende Länder vereint, die noch gar keine richtige Zusage gegeben hätten.
Ich habe nicht gesagt, dass diese Zusagen alle unrealistisch sind. Aber Chess Fidelity zählt die unterstützenden Zusagen anders als wir. Wir veröffentlichen nur dann Länder auf unserer Zustimmungsliste, wenn uns ein offizieller Brief unterschrieben vom Präsidenten eines Schachverbandes vorliegt und uns die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt wurde.
Chess Fidelity hat das anders gemacht. Ihnen lag z.B. ein Brief vom Vorsitzenden der Arabischen Schachföderation – was immer das ist – vor, der die Unterstützung für Kirsan zum Ausdruck brachte. Und dieser Brief zählte bei Chess Fidelity für zwanzig arabische Länder. Viele Vertreter von einigen dieser Länder haben sich schon bei mir beklagt, dass Iljumschinow sie ohne weitere Nachfrage auf der Unterstützerliste seiner Website veröffentlicht.
Sie sagten einmal, eine FIDE-Wahl würde im Vorfeld genauso viele Aufwendungen benötigen wie in der Politik. Wie sahen die letzten Wochen für Sie aus? Wieviele Kilometer haben Sie zurückgelegt?
Ich reiste in sieben Wochen um den ganzen Globus, insgesamt etwa 50.000 Meilen. Ich bin zum größten Teil in der asiatischen Welt unterwegs gewesen, meine Partner waren in Amerika. In Afrika und Südostasien begleitete mich Nigel Short.
Ich folgte dem Ratschlag eines alten FIDE-Präsidenten, Florencio Campomanes. Er sagte einmal zu mir: ‚Wenn du jemals eine FIDE-Wahl gewinnen willst, dann musst du reisen!’ Er lag mit seinen Aussagen nicht immer richtig, aber in diesem Punkt hatte er vollkommen Recht.
Für Ihre Kandidatur ist ein gewaltiger zeitlicher wie finanzieller Aufwand nötig. Werden Sie finanziell unterstützt?
Nein, es ist mein Privatvergnügen. Das Geld ist verloren, aber es wird auch das einzige Mal in meinem Leben bleiben, dass ich eine solche Kampagne mache.
Was können Sie jetzt noch in Turin tun?
Zunächst einmal werden wir den Verbänden und den Menschen danken, die uns bisher unterstützt haben. Wir werden alle am 31. Mai zu einer Dankes-Party einladen, was immer auch bis dahin passiert. Und darüber hinaus konzentrieren wir uns natürlich auf die zahlreichen Verbände, die sich noch nicht entschieden haben. Wir werden mit ihnen reden, unser Programm vorstellen und versuchen, sie von unserer Sache zu überzeugen.
Wir haben viel Spaß, unser ganzes Team tritt als Einheit auf. Jeder an unserem Stand in Turin trägt ein orangefarbenes T-Shirt und eine Schirmmütze. Wir haben einen sehr kleinen Stand und Iljumschinow hat einen sehr großen Stand. Es ist lustig, denn es ist wie David und Goliath. Wir haben mehr Leute, aber sie haben mehr Quadratmeter. Die Atmosphäre ist nicht so angespannt, wie ich erwartete.
Wie ist die Wahl bislang gelaufen?
Um ehrlich zu sein, bin ich zufrieden mit den meisten Dingen, die ich mir vorgenommen habe. Heute habe ich realisiert, dass das Wichtigste ist, die Schachwelt nach der Wahl zusammenzuhalten. Was auch immer passiert, wer von uns beiden auch gewinnen mag: Er hat vermutlich nur eine hauchdünne Mehrheit. Es wird danach schwierig sein, den Verband zu führen. Und ich denke, Kirsan sollte sich darüber ebenfalls Gedanken machen.
In Turin geht das Gerücht um, dass die westliche „freie“ Welt einen Kandidaten gegen den Rest der Welt gewählt hat, was nicht gut ist.
Zunächst hatten Sie es mit mehreren Kontrahenten zu tun, jetzt ist es auf einen Zweikampf zwischen Ihnen und dem amtierend Präsidenten Kirsan Iljumschinow hinausgelaufen. Gab es aus Ihrer Sicht unfaire Attacken Ihrer Gegner? Verfolgt man die Diskussionen auf den Internetseiten, ist der Ton zunehmend rauer geworden. Haben Sie damit gerechnet, als Sie sich zur Kandidatur entschieden?
Mein Ton ist nur ein einziges Mal rau geworden. Ich werde eigentlich nicht schnell wütend. Aber das Verfahren von Chess Fidelity, die Länder teilweise ohne explizite Zustimmung auf ihrer Unterstützerliste hinzuzufügen, hat mich verärgert. Das war einfach nur Propaganda. Darüber war ich enttäuscht, weshalb ich den Artikel über „Chess Infidelity“ auf meiner Website veröffentlicht habe. Chess Fidelity ist mehr in einem persönlichen Sinne aggressiv geworden, insbesondere durch Mr. Gelfer, der zuletzt die Funktion des Einpeitschers übernahm. Ich denke aber, diese Art der Kommunikation hat uns nicht sehr getroffen. Ich glaube sogar, dass es im Gegenteil einen eher positiven Effekt für uns hatte.
Trotz allem ist die Atmosphäre zu Beginn der Olympiade in Turin sehr gut und keine Aggressionen sind zu spüren. Vize- Präsident Makropoulos verbrachte zwei Stunden an unserem Stand.
Ihre Open-Support-Kampagne hat dazu geführt, dass sich schon im Vorfeld viele Länder für Sie ausgesprochen haben. Manche Leute sagen, sie würden damit die Schachwelt in Unterstützer und Nicht-Unterstützer trennen.
Das ist der Weg, den ich gewählt habe. Ich habe mich dazu entschlossen, wenn ich mich zur Wahl stelle, die Wahl offen zu machen. Dafür wurde ich schon vor Monaten von Vize-Präsident Makropoulos getadelt, der mir Vorwarf, die Schachwelt spalten. Ich denke nicht so. Es ist Zeit, dass die Leute offen darüber sprechen, ob sie einen Wechsel wollen oder nicht. Es ist spektakulär, aber ich glaube, es ist notwendig, nachdem viele Mitglieder so viele Jahre lang frustriert waren. Als ich jetzt in Dresden den FIDE-Kongress besuchte, hatten die Vertreter der Verbände Angst, man könne sie mit mir zusammen sehen. Sie befürchteten irgendwelche Sanktionen. Deshalb entschied ich, alles offen zu machen. Und es funktioniert.
Das erschütterndste für mich war diese Angst der Funktionäre, mit einem Newcomer gesehen zu werden. Es ist aus meiner Sicht für eine Weltorganisation fundamental, dass die Vertreter keine Furcht haben, ihre Meinung zu äußern.
Wenn Sie jetzt auf die letzten Monate zurückblicken, hätten Sie etwas anders gemacht?
Ja, ich würde früher mit den Reisen beginnen. Ich hätte vielleicht ein oder zwei Trips mehr gebraucht.
Welche Auswirkungen hatte die Verkündung des Wiedervereinigungskampfes zwischen Kramnik und Topalow auf Ihren Wahlkampf und Ihre Chancen?
Keine! Niemand hat es erwähnt. Ich habe lediglich einen einzigen Kommentar von der österreichischen Delegation gehört, die meinten, es sei ein guter Zug von Kirsan gewesen. Aber ich bin sicher, dass dies nicht das Thema ist, das die Delegierten im Moment in Turin bewegt. Ich bin natürlich sehr glücklich für die beiden Spieler. Aber es gibt viele ungeklärte Fragen. Es ist ein weiteres Beispiel für das Fehlen der Transparenz in der Kommunikation der FIDE. Und nun wird es noch unklarer, weil das Match zwischen Topalow und Radschabow angekündigt wurde. Wir hatten eine Sitzung mit Journalisten, die mich unentwegt fragten, was wird passieren, wenn dies oder wenn jenes eintrifft. Warum fragen sie mich? Ich habe die Regeln nicht gemacht. Ich weiß nicht, wie die Verträge aussehen. Im Moment weiß ich jedenfalls nicht, was die FIDE ausgehandelt hat, ja nicht einmal, ob die Verträge Bestand haben, falls Kirsan abgewählt wird.
Sie haben mit den Prager Verträgen selbst für die Wiedervereinigung gekämpft. Ihre Bemühungen wurden nicht zuletzt durch die FIDE zu Nichte gemacht.
Die FIDE richtete damals eine extra Abteilung ein, FIDE-Kommerz, die sich um die Vermarktung kümmern sollte. Nur wenige wissen, wie schlecht diese Organisation gemanaged und wie inkompetent sie personell besetzt war. Sie haben die Kontakte, die ich geknüpft hatte, zum Erliegen gebracht. Mein professionelles Team und mein Partner IMG, eine große Marketing Firma in London, waren nicht mehr bereit, mit der FIDE zusammenzuarbeiten. Ich wollte das Match zwischen Kasparow und Ponomariow noch retten, doch ich erhielt einen beleidigenden Brief von der FIDE, die die Bedingungen diktieren wollte. Der Weltschachverband entschloss sich nach meinem Rückzug, die Sache alleine zu vermarkten – mit dem Resultat, das alle kennen.
Hat es Sie nun sehr getroffen, dass das Wiedervereinigungs-Match gerade unter diesen Umständen zustande gekommen ist – als ein strategischer Zug in einer Wahl?
Nein. Das war es, was viele dachten: der goldene Zug von Kirsan. Ich denke nicht so. Es ist natürlich großartig, dass endlich die Schachwelt wiedervereint sein wird. Aber darum geht es in Turin nicht. Was passiert, wenn Kirsan die Wahl verliert? Wird das Match dann immer noch stattfinden? Das ist eine Frage, die für mich nicht geklärt ist. Er garantierte den Preisfonds aus seiner eigenen Tasche, so habe ich es jedenfalls verstanden. Es ist eben das alte Problem, es gibt keine Transparenz. Ich weiß nicht einmal, ob es ein offizielles FIDE-Match ist oder ein privates Match, das nur zum Zwecke von Kirsans Wiederwahl veranstaltet wird. Ich fand die Mitteilung über dieses Match lediglich auf der Seite von Chess Fidelity, nicht aber eine Ankündigung auf der offiziellen FIDE-homepage. Deshalb bleibt die ganze Angelegenheit unklar.
Auf der Homepage von Chess Fidelity ist eine Liste der Leistungen der FIDE der letzten zehn Jahre aufgeführt. Was waren Ihrer Meinung nach die Hauptfehler der letzten zehn Jahre, die der Weltschachverband begangen hat?
Die größte Leistung war, dass sie einen Mann gefunden haben, der Geld ins Schach pumpt. Großartig! Aber der größte Fehler ist, dass die ganze Organisation auf ihn ausgerichtet und von einer einzigen Person abhängig ist. Es macht die FIDE faul, selbstgefällig und bürokratisch. Das Hauptproblem ist, dass die FIDE den Kontakt zu jeglichen Sponsoren verloren hat, weil ein Mann, der Schach liebt, sein eigenes Geld gibt. Es besteht sozusagen keine Notwendigkeit für etwas anderes. Die Regularien für die Weltmeisterschaft sind unklar und die Reputation des Schachs liegt danieder. Das sind die Punkte, in denen die FIDE versagt hat: Sie haben in den letzten zehn Jahren das Image des Spiels weder geschützt noch befördert.
Kirsan Iljumschinow hat erst nach einiger Zeit auf Ihre Internet-Präsens reagiert und eine eigene homepage (Chess Fidelity) ins Netzt gestellt…
Sie haben uns alles nachgemacht!
Hat Iljumschinow Ihre Kandidatur im Vorfeld unterschätzt?
Ja, auf jeden Fall. Sie haben uns absolut unterschätzt. Aber ich kann das verstehen, denn in der Vergangenheit kamen alle Kandidaturen noch vor der Olympiade zum Erliegen. Und sie dachten, es werde nun wieder genauso laufen. Sie sind richtig nervös geworden, weil sie nicht wissen, was passieren wird.
Anatoli Karpow hat im Vorfeld einige gegensätzliche Aussagen zur Wahl gemacht. In einem Interview vor einigen Wochen sagte er, Ihre Haltung sei ihm ein Rätsel geblieben, weil Sie nicht mit ihm kooperiert hätten. Sie haben einen guten Kontakt zum Ex-Weltmeister. Können Sie seine widersprüchliche Haltung erläutern?
Ich hätte schon gerne mit ihm kooperiert, aber nicht so, wie er sich das vorgestellt hat. Er wollte Präsident werden. Und es wäre gegenüber den etwa 30 Verbänden nicht fair gewesen, die mir zu diesem Zeitpunkt schon ihre Zusage gegeben hatten. Wenn man ein persönliches Mandat hat, kann man es nicht auf einen anderen übertragen. Mit diesen Mandaten kann man nicht spielen, indem man sie einfach mit anderen kombiniert. Ich hätte es sehr begrüßt, mit Anatoli zusammenzuarbeiten. Aber die Verbände haben ihre Unterstützung mit meiner Person verbunden. Und das akzeptierte Anatoli nicht, weshalb unsere Gespräche zum Ende kamen. Er war enttäuscht und ich verstand das. Aber ich denke, er lag damit falsch. Ich fühle mich den Verbänden verpflichtet. Aber ich kenne Anatoli seit über zwanzig Jahren und ich habe nach wie vor eine gute Beziehung zu ihm.
Sie reden heute vorwiegend von den Vermarktungsstrategien der FIDE. Frühere Präsidenten wie Fridrik Olafsson waren sehr viel mehr mit dem Ausgleich der politischen Lager im Kalten Krieg beschäftigt. Inwiefern ist der Job des FIDE-Präsidenten heute politisch bzw. welche Schwierigkeiten erwarten Sie in dieser Hinsicht?
Ich denke, das Problem ist heute nicht mehr die Konkurrenz zwischen zwei dominierenden Staaten wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Ich bin mir sicher, dass mich die russische Föderation unterstützen wird, falls Kirsan verliert.
Die Probleme, mit der sich eine Schachorganisation heute auseinandersetzen muss, hängen mehr mit den Schwellenländern zusammen. Wie kann man Schach in diesen Ländern entwickeln und fördern? Ich sah, was Nigel Short in den letzten beiden Monaten erreicht hat. Die Leute in manchen Ländern, die wir besuchten, hatten zuvor noch nie einen Großmeister gesehen und sie wussten nicht, was die FIDE ist. Aber es gibt sehr viele Menschen, die in diesen Ländern ein immenses Interesse am Schach haben.
Ich denke, die Organisation der Weltmeisterschaft und die Veranstaltung der Olympiade sind keine großen Probleme. Schach in den rückständigen Ländern zu fördern und Schach in die Schulen zu tragen sind die vorrangigen Aufgaben einer neuen FIDE-Präsidentschaft.
Welche Veränderungen planen Sie hinsichtlich der Mitarbeiterstruktur der FIDE? Wie wollen Sie die verkrusteten personellen Strukturen aufbrechen?
Wir brauchen einen kulturellen Wandel in der Einstellung, in den Köpfen der Menschen. Es gibt soviel Neid, Angst und viele Leute in diesem Umfeld wirken traurig. Die Leute sollten lächeln, sich gegenseitig vertrauen und einfach Spaß haben. In dieser Organisation sind viele gute Leute, aber man muss sie dazu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Und das ist nicht leicht und wird eine echte Herausforderung. Man muss als Präsident mit einem guten Beispiel voran gehen. Meinem Team sage ich: lächelt, entspannt euch, und sagt jedem, das Schach nicht alles ist.
Was sagen Sie den kleinen Staaten, die vermutlich den Ausschlag zur Wahl geben? Welchen Nutzen haben Sie von Ihrer Wahl?
Für diese Länder ist bis heute nichts getan worden. Die FIDE propagiert, dass Bessel Kok für die großen, reichen Länder und für die Großmeister steht. Das ist totaler Unsinn! Ich besuchte so viele Staaten, die in den letzten 20 Jahren keinen Vertreter der FIDE zu Gesicht bekommen hatten. Wir haben einen wirklich guten Plan zur Schachentwicklung ausgearbeitet. In Afrika, Südostasien und Lateinamerika wollen wir Schachzentren errichten, in denen Großmeister trainieren. Dies sind lokale Förderungen, direkt vor Ort. Es braucht zwar einige Jahre, aber diese Länder werden dann gute Schachspieler ausbilden können. Wir haben schon sehr konkrete Pläne für Brunei und die Bahamas ausgearbeitet. Diese Länder sind sehr frustriert. Wir geben ihnen die Chance, dass sie sich entwickeln und dann auf eigenen Füßen stehen können. Sie brauchen Ziele, sie wollen einen Großmeister hervorbringen. In Indien war die Situation vor 20 Jahren genauso bis Vishy [Anand] kam.
Sie haben viele Stimmen von Großmeistern für Ihre Sache sammeln können. Warum konnten Sie Anand und Topalow nicht für die Unterstützung Ihrer Kampagne gewinnen?
Ich sprach mit Topalow in Wjik aan Zee Anfang des Jahres und schlug ihm vor, er solle für keine der beteiligten Parteien ein Votum abgeben. Ein Weltmeister sollte aus meiner Sicht neutral bleiben. Später kurz nach den Verhandlungen um das Match gegen Kramnik verkündete er dann doch seine Unterstützung für Kirsan, was mich etwas enttäuschte. Aber ok, ich respektiere das.
Und Vishy, mit dem ich gut befreundet bin, wollte noch nie in irgendwelche politischen Dinge eingebunden sein. Und auch das respektiere ich.
Welche Rolle wird unter Ihrer FIDE-Führung die Spielerorganisation ACP spielen?
Ich würde mir wünschen, dass die ACP mächtiger wird. Ehrlich gesagt würde ich der ACP gerne mehr Verantwortung übertragen, damit sie mehr eigene Entscheidungen treffen kann. Damit wären die Großmeister näher an der FIDE.
Was werden Sie tun, wenn Sie die Wahl verlieren sollten. Werden Sie der Schachwelt in anderer Hinsicht treu bleiben?
Natürlich, aber in meiner Weise. Das Wichtigste wird sein, ein Schisma in der Schachwelt zu vermeiden. Das wäre ein Desaster. Wir haben genug Probleme, das wäre eines mehr. Und das werde ich jedem sagen. Ich werde darüber hinaus weiterhin Schachprojekte unterstützen, vielleicht etwas mehr fokussiert auf die Entwicklung in der Dritten Welt.
Das Interview führte Harry Schaack
Aus dem Englischen übersetzt von Harry Schaack