DER HSK –
ERINNERUNGEN EINES NICHTMITGLIEDS

Von Johannes Fischer

Meine erste Begegnung mit dem HSK endete mit einer Enttäuschung. Ich war elf oder zwölf Jahre alt, spielte begeistert Schach und meine Eltern suchten einen Verein für mich. Wenn man in Hamburg wohnt, stößt man da schnell auf den HSK. Aber wir hatten kein Glück. Als meine Mutter anrief, um sich zu erkundigen, wann und wo Jugendliche in den Verein kommen könnten, war der junge Mann am anderen Ende der Leitung wenig entgegenkommend. Er fragte, ob und wie lange ich schon spielen würde, ob ich schon in einem anderen Verein Mitglied wäre und wie alt und wie gut ich sei. Am Ende meinte er, „es sei ja noch etwas Zeit und ich könnte ja später, wenn ich mehr Erfahrung hätte, wiederkommen“. Heute, wo der HSK engagierte Jugendarbeit leistet, überrascht diese Haltung, aber damals, Mitte der siebziger Jahre war sie typisch. Der Verein stand in dem Ruf, talentierte Jugendliche, die in Schulschachgruppen und kleineren Vereinen entdeckt und gefördert worden waren, irgendwann zum HSK zu locken.

Als Großverein konnte sich der Klub diese Haltung leisten. Allerdings kostete sie Sympathien und auf viele wirkte der HSK arrogant. Man begegnete ihm wie Bayern München in der Fußballbundesliga: Mit wenig Zuneigung, widerwilligem Respekt vor Größe und Leistung des Vereins und leichter Schadenfreude, wenn der HSK einmal nicht triumphierte. Dabei konnte man es kaum einem Jugendlichen verdenken, wenn er zum HSK ging, denn dessen gut organisierte Vereinsarbeit bot die Möglichkeit, an mehreren Abenden die Woche ins Klubheim zu kommen, in einer guten Mannschaft gegen starke Gegner zu spielen und durch einen hauptamtlichen Trainer gefördert zu werden.

Ehemaliges HSK-Klubhaus


DAS KLUBHAUS

Und der HSK hatte das schönste Klubheim der Stadt. In einem alten Hamburger Patrizierhaus, das Hans Krieger, von 1972 bis 1978 Erster Vorsitzender des HSK gekauft hatte, um dem Verein die Möglichkeit zu geben, dort heimisch zu werden, konnte der Klub Souterrain und Erdgeschoss zu günstigen Konditionen mieten. Eingezogen war der HSK dort am 4. November 1973. Vorher hatten zahlreiche Vereinsmitglieder bei der Renovierung geholfen: Sie hatten Kamine entfernt, Wände tapeziert und gestrichen und die alten Wohnräume so hergerichtet, dass man dort Schach spielen konnte. Der Stuck an den Decken, der Parkettfußboden und die alten Türen waren jedoch erhalten geblieben und bewahrten die vornehme Atmosphäre des Hauses. In der Küche im Souterrain boten „weibliche Mitglieder“ ehrenamtlich Snacks und Kaffee an und in dem Zimmer daneben konnte man analysieren und blitzen. Ernsthafter ging es in den Räumen im Erdgeschoss zu, wo sich die Bibliothek befand und wo Mannschaftskämpfe oder Einzelturniere wie der Dähne-Pokal ausgetragen wurden. An der Wand hingen Bilder von Walther Robinow, Emil Dähne und Klaus Junge sowie eine handschriftliche Notiz von Emanuel Lasker. Auch die Figuren waren eleganter als bei anderen Vereinen. Während die meisten Vereine damals noch mit den billigeren Bundesformfiguren spielten, leistete sich der HSK Staunton-Sets und all das schuf eine Atmosphäre, in der Schach etwas Besonderes war. Nach der Fusion mit dem HSV anfang der achtziger Jahre gab der HSK das Klubheim in der Uhlandstraße jedoch auf und spielte fortan in den Räumen des HSV im Tenniscenter am Rothenbaum. Als die Fusion 1988 zerbrach mussten sie sich nach einem neuen Lokal umsehen, aber jetzt, nach einigen Jahren des Übergangs, verfügt der HSK in Hamburg-Wandsbek wieder über ein eigenes Domizil. Mit umgezogen sind Emil Dähne, Walther Robinow und Klaus Junge, die anders als im wirklichen Leben in trauter Eintracht nebeneinander von der Wand auf das Treiben der heutigen Klubmitglieder blicken.

RIVALITÄT ZUM SKJE

Wie auch immer: Ich jedenfalls nahm den telefonischen Rat des HSK-Mitglieds an und blieb in meiner Schulschachgruppe. Geleitet wurde sie von Christoph Lange, einem Medizinstudenten, der im Schachklub Johanneum Eppendorf, kurz SKJE, schachlich groß geworden war. Später, als ich besser wurde, ging ich natürlich auch zum SKJE. Wenn auch nicht so groß wie der HSK war es ein guter Verein mit engagierten Mitgliedern und aktiver Jugendarbeit, die eine große Zahl von Talenten hervorbrachte. Spieler wie Volker Ahmels und Michael Jürgensen z.B. zählten bei Hamburger Jugendmeisterschaften immer zu den Favoriten und schnitten auch bei Deutschen Meisterschaften gut ab. Mit solchen Spielern in einer Mannschaft waren wir auch für die starken Jugendlichen des HSK eine ernsthafte Konkurrenz, sowohl bei Einzel- als auch Mannschaftsturnieren. Besonders ausgeprägt war diese Rivalität bei Mannschaftsschnellturnieren. Traditionell startete das Team des SKJE dort unter dem Namen Lokomotive Johanneum, eine Anspielung auf die Zugkraft des Teams, aber auch Ausdruck der linksgerichteten Gesinnung, die den Verein prägte. Für die „Lok“ zu spielen war eine Ehre und bei den Schnellturnieren ging es eigentlich immer darum, den HSK zu schlagen und Erster zu werden, was oft klappte, oft genug aber auch nicht. Aber Gefahr drohte nicht nur vom HSK. So protestierte Gert Blankenburg, Leiter einer Schulschachgruppe im Nordosten Hamburgs und einflussreicher Hamburger Funktionär, bei einem Schnellturnier bei der Turnierleitung gegen den Namen „Lokomotive Johanneum“, und verlangte, dass sich unsere Mannschaft SKJE nannte. Ihm klang Lokomotive zu sehr nach DDR und in seinem Kampf für die Demokratie drohte er uns mit Turnierausschluss, falls wir darauf bestehen sollten, weiter unter diesem Namen zu spielen. Reden ließ er mit sich nicht. Am Ende beugten wir uns dem Druck und gaben eine schöne Tradition auf. So hat eben jeder seine eigene Auffassung von Meinungsfreiheit und Toleranz.
Die Rivalität gegen den HSK wurde dagegen auf dem Schachbrett ausgetragen, wobei das Image des HSK als reicher Großverein uns bei der Entwicklung eines ausgeprägten Wir-Gefühl half. Tatsächlich aber war mein Verhältnis zu den meisten HSK-Jugendlichen gut, dafür sorgten schon das gemeinsame Training im Hamburger Stützpunkt und die Länderkämpfe, in denen wir in einer Mannschaft spielten.

EINTEILIGE BUNDESLIGA

Richtig attraktiv wurde der HSK durch die Einführung der einteiligen Bundesliga Anfang der achtziger Jahre. Internationale Spitzenspieler wie Robert Hübner, John Nunn, Murray Chandler und später Alexei Schirow kamen nach Hamburg, um für den HSK zu spielen. War man Mitglied im HSK oder spielte sogar in der Bundesligamannschaft konnte man von diesen Spielern eine Menge lernen. Natürlich kann man sich fragen, ob es Sinn macht, auf Kosten des Gesamtvereins Profis zu bezahlen und viel Geld in die erste Bundesliga zu stecken. Aber eine gute Bundesligamannschaft sorgt für Prestige und die Bundesliga brachte vielen Hamburger Jugendlichen auch die ersten engeren Kontakte zum Spitzenschach. Es ist wohl kein Zufall, dass mit Matthias Wahls, der bereits als Jugendlicher in der Bundesligamannschaft des HSK gespielt hatte, erstmals seit langer Zeit wieder ein Hamburger in die deutsche Spitze vordrang. Und Wahls war nur der Erste einer Reihe von Jugendspielern wie Nils Michaelsen, Sönke Maus, Hannu Wegner, Karsten Müller, Stefan Sievers, Thies Heinemann, Jan Gustafsson oder Christian Wilhelmi, die in der Bundesligamannschaft ihre ersten Sporen verdienten und bald darauf Internationaler Meister oder Großmeister wurden.

Ironischerweise erwies es sich für diese Jugendspieler als ein Segen, dass die Fusion mit dem reichen HSV zerbrach, denn die dadurch ausgelöste finanzielle Krise zwang den HSK sich darauf zu besinnen, das Potential Hamburger Talente zu fördern. Der HSK war plötzlich kein Großverein mit Geld mehr, der sich teure Großmeister leistete, sondern ein Großverein, der Jugendlichen die Chance gab, sich in der Bundesliga zu bewähren. Ein erfolgreiches Konzept, denn auch wenn der HSK in der Bundesliga nie ernsthafte Chancen auf die Meisterschaft hatte, so ist der Klub doch seit Beginn der Liga dabei und geriet nie ernsthaft in Abstiegsgefahr. Und die zahlreichen starken Spieler in Hamburg sorgen für ein lebhaftes Schachleben und fördern ihrerseits wieder junge Talente.

Auch mein Blick auf den HSK änderte sich allmählich, vor allem, weil ich 1985 von Hamburg nach Frankfurt zog. Wie viele andere entwickelte ich in der Fremde vorher nie gekannten Lokalpatriotismus und plötzlich verfolgte ich die Bundesligaergebnisse des HSK, dem schachlichen Aushängeschild Hamburgs, mit mehr Sympathie als je zuvor. Anfangs mag das noch daran gelegen haben, dass ich viele der Spieler in der Mannschaft noch kannte. Aber je länger ich aus Hamburg fort war und je jünger die Mannschaft wurde, desto weniger spielte das eine Rolle. Das Konzept der Jugendförderung gefiel mir. Schließlich kannte ich den HSK noch anders.