DEIN SCHACHMANTRA AM KÜHLSCHRANK

Von Stefan Löffler

Aagards Excelling at Chess Cover

Jacob Aagard,
Excelling at Chess,
London: Everyman Chess 2001,
Paperback, 190 Seiten,
(ca. 26 Euro)

Ernähr dich richtig, wenn du eine Turnierpartie spielst: Ein Liter Wasser, ein fettfreier Sandwich, am besten Bananen. Wenn du nach einer Niederlage von negativen Gedanken heimgesucht wirst, geh ins Kino. Haben wir je solche Tipps in einem Schachbuch gelesen?

Als Jacob Aagard begann, über dieses Buch nachzudenken, sprühte der dänische Internationale Meister vor Ehrgeiz und Selbstbewusstsein. Als es geschrieben war, hatte er eine Rockband gegründet, James Ellroy gelesen, von einem Freund die Grundzüge Neuro-Linguistischen Programmierens gelernt, und Großmeister werden war nicht mehr so wichtig. Statt besser zu werden, hat er ein Buch geschrieben darüber, wie man im Schach besser wird. Vorher hat er sich das wahrscheinlich anders ausgemalt.

Aagard hat einige (meist wohlbekannte) Spitzenpartien analysiert und daraus Schlüsse gezogen: Dass überlegenes Positionsverständnis der entscheidende Faktor ist. Dass Rechnen kompensiert, aber nicht völlig. Darum hat Schirow, der ultimative Rechner, so eine schlechte Bilanz gegen Kasparow. Der fühlt die Dynamik der Position wie kein Zweiter. Adams ist einer, der wenig sieht, aber dafür das Richtige und Wichtige. Andersson ist in Wahrheit ein großer Taktiker, der die Gefahr lange vor dem Gegner spürt und umgeht (oft zum Remis), aber wehe, es gibt ein Endspiel. Das gewinnt der Schwede, ohne auf Gewinn zu spielen, indem er einfach nur normal gute Züge macht. Salow ist auch so ein Fall. Jeden einzelnen von Salows Zügen könne er auch finden, schreibt Aagard, aber eben nicht alle.

Im längsten Kapitel des Buches liefert er sich ein Scheingefecht mit John Watson. Der hatte in seinem Buch Secrets of Modern Chess Strategy (Gambit 1999) gezeigt, wie undogmatisch das moderne Schach ist, wie das Erkennen der Ausnahmen wichtiger geworden ist als das Befolgen von Regeln. Aagard widerspricht: Regeln sind wichtig. Nicht alle immer zugleich, schränkt er ein. Später sind Regeln dann nur noch hilfreich, wenn man sie einsetzt, ohne dogmatisch zu sein, und der Widerspruch schmilzt dahin.

Überhaupt kommentiert Aagard reichlich die besseren Neuerscheinungen der letzten Jahre, ähnlich wie sich ein Sozialwissenschaftler an den Theorien anderer Sozialwissenschaftler reibt, aber gewöhnlich kein Schachautor. Wer einen Ratgeber für Fortgeschrittene sucht, ist beispielsweise mit Alex Yermolinskys Road to Chess Improvement (Gambit 1999), das ebenfalls zitiert wird, besser bedient. Nach dem analytisch-essayistischen Einstieg steuert Aagard nämlich in jene Marktlücke, die er im Sektor Schachbuch ausgemacht hat: der erste moderne Psychoratgeber für Schachspieler ist da.

Excelling at Chess liest sich durchaus amüsant. Zum Beispiel, dass einige Spieler (die Russen und Michael Adams) mit ihren Figuren reden: Na, hölzerner Freund, wo willst Du heute hin? Aagard, 29, bringt einige Voraussetzungen mit, um lesbar zu schreiben. Er studiert Sprachen, Kommunikation und Semiotik in Aarhus. Sein Vorwort hat er mit Glasgow, Amsterdam und Kopenhagen addressiert. Nebenbei ist ein früherer Wohnsitz in Budapest erwähnt. Er zitiert Songtexte, Psychologie-Literatur und aus Sportsendungen, die er im Fernsehen gesehen hat. In seinen Partieanalysen empfiehlt er sich als Live-Kommentator: Jetzt heißt es schwitzen, Anatoli. – (Der Zug ist) Offensichtlich. Guter Springer, schlechter Läufer. Wie aus dem Lehrbuch. – Betrachten Sie die weißen Figuren! Brauchen Sie da noch Varianten?

Dahinter stehen auch zwölf Jahre Erfahrung als Trainer. Aagard lehrt, dass gutes Rechnen mit einer Vorstellung beginnt, was man sucht. Er nennt es das Weihnachten-Prinzip. Wünsch dir, wo deine Figuren stehen sollen, fordert er seine Schüler auf. Manchmal kommt man so auf die richtige Idee. Die Lage zu klären oder zu forcieren, erkennt er als Zeichen von Schwäche – Spannung auszuhalten ein Zeichen von Meisterschaft. Richtig, die Russen können das. So wird man offen für Zwischenzüge, für das Aufschieben eines Rückschlagens, für den entscheidenden stillen Zug.

Für das Erlernen einer Eröffnung empfiehlt Aagard den vermeintlich umgekehrten Weg, nämlich erstmal Endspiele anzuschauen, die sich aus der Variante ergeben haben. Dann 100 bis 150 Mittelspiele mit der Variante von Topleuten. Jeder neue Plan, jede neue Idee, der man begegnet, soll man aufschreiben. Erst dann die Varianten ansehen, wenn man die Eröffnung bereits versteht. So komme man auch auf natürliche, gute, eigene Züge.

Er empfiehlt, ein Schachtagebuch zu führen, die Gründe für Niederlagen in Worte zu fassen. Vielen schieben eine Niederlage auf einen einzelnen Fehler. In Wahrheit haben sie nach und nach ungenau gespielt, so dass am Ende ein Fehler genügte, das Spiel zu verlieren. Schluss mit den Entschuldigungen, fordert Aagard. Die volle Verantwortung übernehmen. Sich fragen, ob man Angst vor dem Versagen hat. Die Angst vor dem Versagen darf einen nicht am Brett erwischen. Riskiere, zu siegen!

Willkommen bei deinem persönlichen Motivationsseminar. Schreib deine Auffassung von Schach und wie du besser werden willst, auf einen Zettel. Hefte dein persönliches Schach-Mantra an eine geeignete Stelle. Zum Beispiel an den Kühlschrank, vor dem du es jeden Morgen runterbeten kannst. Schreib auf, was dir beim Erreichen deiner Ziele helfen und was dir im Weg stehen wird. Als nächstes schreib auf, wie du die Hindernisse überwinden kannst. Streich sie eins nach dem anderen durch.

Aagard sieht Parallelen zwischen Schach und Tennis. Die meisten Ballwechsel sind belanglos, Hauptsache über das Netz. Nur fünfzehn bis zwanzig Minuten wird während einem Tennismatch tatsächlich gespielt. Und was machen die Stars während der Unterbrechungen? Sie ziehen die Bespannung ihres Schlägers zurecht und reden mit sich selbt. Sie sagen sich, dass sie das Match gewinnen werden. Den eigenen Schachfrust von der Seele schreibend, fordert Aagard, von den Tennisstars zu lernen. Sei positiv. Wenn deine Freunde dich wegen deines Ehrgeizes verspotten (alle Ehrgeizigen werden verspottet), belehr sie nicht über die Konsequenzen negativen Denkens. Sag den Arschlöchern, dass du deinen eigenen Weg finden willst.