KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

SCHACHTRAINING MIT DEM COMPUTER: TIPPS UND TRICKS

Von FM Johannes Fischer

How to use Computers to improve your Chess Cover

Christian Kongsted,
How to Use Computers to Improve Your Chess:
Explains how to tame the silicon monsters and use them to your advantage,
London: Gambit 2003,
Paperback, 182 S.,
ca. 23,45 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Schachprogramme können mehr als nur gut blitzen. In Sekundenschnelle sortieren sie Millionen von Partien, erstellen Gegnerprofile und Eröffnungsstatistiken, demonstrieren Eröffnungsideen und analysieren präzise und genau ohne je müde zu werden. Eigentlich sind Computer die idealen Sekundanten und Sparringspartner – wenn sie nicht so schrecklich unselbständig wären. Sie tun immer nur das, was man ihnen sagt – und nicht jeder spricht die Sprache des Computers gerne oder gut. Da hilft Christian Kongsted. In seinem Buch How to Use Computers to Improve Your Chess verrät er, wie man die Programme dazu bringt ihr bestes zu geben.

Kongsted, Computerenthusiast und Schachfan, lebt in Dänemark, bringt im Nahschach 2280 und im Fernschach 2500 Elopunkte auf die Waage und ist von Beruf Journalist. Offensichtlich waren die Jahre auf der Journalistenschule nicht umsonst, denn ihm gelingt hier eine lesbare und informative Einführung in das Computerschach.

Wie Schachprogramme funktionieren und welche Schwächen sie haben
Kongsted beginnt mit einer kurzen Geschichte der Schachcomputerentwicklung (die allerdings für Leser des Computer-KARL wenig Neues bringt) und erklärt danach im Kapitel „Inside the Machine“ anhand von Begriffen wie Suchbaum, Alpha-Beta Algorithmus, Null-Move usw. die Denkweise des Computers. So gerüstet verweist Kongsted anschließend auf die „blinden Flecken“, die Schwächen der Programme. Fast alle beruhen auf dem Horizonteffekt, den Schwierigkeiten der Programme langfristig zu planen. Deutlich wird diese Schwäche in dem Unverständnis des Computers für Festungen, jenen Stellungen, in denen eine Seite trotz großen materiellen Vorteils an der kompakten Verteidigung der Gegenseite scheitert. Die folgende, von Wassili Smyslow komponierte Studie, liefert ein gutes Beispiel:

Die weiße Stellung scheint hoffnungslos zu sein. Aber mit Hilfe einer Festung kann sich Weiß retten: 1.Lg5+ Ke8 1…Kf7 2.Ld8 a3 3.La5 a2 4.Lc3 2.d4 a3 3.d5 a2 3…exd5 4.e6 nebst Lf6 und einem typischen Remis in Stellungen mit ungleichfarbigen Läufern. 4.d6 a1D 5.Kg2 und obwohl Schwarz eine ganze Dame mehr hat, kann er nicht gewinnen.

Kongsted stellte diese Aufgabe seinem Computer und schreibt über dessen Lösungsversuche: „Nach 7,5 Stunden… hatte der Computer etwa 19.220.186.000 Stellungen durchgerechnet, aber offensichtlich noch immer nicht begriffen, dass Schwarz keine Möglichkeit besitzt, die weiße Festung einzunehmen. … Das Problem ist nicht, dass der Computer zu langsam ist oder zu wenig Stellungen betrachtet. Das Problem besteht darin, dass der Computer nicht versteht, was er sieht. Er verfügt über keinen vernünftigen Weg, um diese Stellungen einzuschätzen, da ihm die materielle Bewertung sagt, dass er beinahe eine Dame mehr hat, und er versteht nicht, dass Weiß über irgendeine Art von Kompensation verfügt (S.43)“. Schwächen wie diese kann der Mensch ausnutzen, um der taktischen Übermacht der Computer Paroli zu bieten.

Wie das klappen kann, steht im Kapitel „How to beat your computer“. Kongsted spricht über alte und neue Anti-Computerstrategien und empfiehlt Eröffnungen, die dem Computer nicht liegen. Überraschenderweise rät er, sich gegen den Computer durchaus auf theoretische Varianten einzulassen. Die Begründung dafür leuchtet ein: die Theorie des Computers beruht eigentlich nur auf bereits gespielten Partien – eigene Analysen stellt er nur auf Befehl an. Und so ahmt er in der Eröffnung fast nur nach und ist dementsprechend anfällig für Neuerungen.

Wie man mit Schachprogrammen trainieren kann

Nachdem Kongsted im ersten Teil des Buches erläutert hat, wie der Computer denkt, löst er im zweiten Teil „Improving with the Computer“ das Versprechen des Titels ein. Gleich zu Beginn warnt er jedoch vor exzessivem Training mit dem Computer: „Ich habe den Eindruck, manche Spieler verbringen zuviel der Zeit, die ihnen fürs Schachtraining zur Verfügung steht, vor dem Computer. Ich glaube, dass es wichtig ist, Schachcomputer als Ergänzung zu anderen Formen des Schachtrainings zu begreifen. Generell sollten Sie nicht mehr als die Hälfte der Zeit, die ihnen fürs Schachtraining zur Verfügung steht, mit dem Computer verbringen. Und zwar deshalb, weil eine der wichtigsten Dinge, wenn Sie das Schach ernst nehmen, darin besteht, Ihre eigenen analytischen Fähigkeiten zu entwickeln…. Möglicherweise merken Sie, dass ‚mit dem Computer analysieren‘ sich zu oft zum ‚Zuschauen, welche Varianten der Computer analysiert‘ entwickelt. Man hört auf selbständig zu denken, und das ist sicher eine große Gefahr, auf die man achten muss, wenn man Computer benutzt (S.104-105)“. Hier zeigt sich eine der Stärken des Buches. Kongsted ist kein Computerfreak, der den Maschinen blind vertraut, sondern er glaubt, „dass die Synthese zwischen menschlichem Wissen, Intuition und Kreativität zusammen mit den schnellen und genauen Berechnungen des Computers eine ausgezeichnete Mischung für die Analyse ergeben. Es ist wichtig, das gesamte Thema als Zusammenarbeit und nicht als Kampf zwischen Mensch und Maschine zu begreifen (S.182-183)“.

Kongsted zeigt, wie diese Zusammenarbeit aussehen kann. Er erklärt, wie man Datenbanken effektiv einsetzt, die Suche nach Neuerungen automatisiert, wichtige Partien in einer bestimmten Eröffnungsvariante aus dem Datenbrei von Datenbanken mit Millionen von Partien filtert und gibt Tipps zur Analyse der eigenen Partien. Um die taktischen Fähigkeiten zu steigern und im Endspiel besser zu werden, empfiehlt er, ausgewählte Stellungen gegen den Computer zu spielen – und liefert ein paar davon gleich mit. Kongsteds Vorschläge sind ebenso hilfreich wie durchdacht und gehen weit über die Empfehlungen in den Handbüchern der Programme hinaus.

Die Zukunft des Computerschachs

Zum Schluss des Buches folgen kurze Hinweise auf interessante Computerschachseiten im Internet sowie ein Ausblick auf die Zukunft des Computerschachs. Auch hier erweist sich Kongsted als gemäßigter Enthusiast. Er fragt: „Was also wird geschehen, wenn (oder falls) die Programme etliche hundert Elopunkte dazu gewinnen und in der Lage sind, den Weltmeister in einem Wettkampf überzeugend zu schlagen? Nicht sehr viel, vermute ich. … Möglicherweise gelingt es innerhalb der nächsten zehn Jahre, einen Wettkampf gegen den Weltmeister zu gewinnen, da Computer im praktischen Spiel sehr schwierige Gegner sind. … Theoretisch jedoch ist es sehr wahrscheinlich, dass manche Bereiche des Spiels den Programmen noch auf Jahre hinaus Probleme bereiten werden. … Deshalb glaube ich, dass bei der zukünftigen Entwicklung des Schachs Menschen und Maschinen zusammen arbeiten werden, um so tiefere Einsicht in das Schach zu bekommen (S.182-183)“.

Wie man das macht, verrät Kongsteds Buch. Empfehlenswert für jeden, der die vielfältigen Möglichkeiten der Schachprogramme besser nutzen möchte.