MUSIKALISCHE SCHACHSPIELER

In drei Interviews sprach KARL mit den musikalischen Schachspielern Mark Taimanow, Lajos Portisch und Emil Sutowski über die Bedeutung der klassischen Musik in ihrem Leben, über die Gemeinsamkeiten von Schach und Musik, und über die Qualitäten, die man in beiden Disziplinen braucht.

(Der Text ist folgend auszugsweise wiedergegeben. Den ganzen Artikel lesen Sie in KARL 4/07.
Versehntlich haben sich zwei Fehler in der Printversion dieses Artikels eingeschlichen, die wir hier korrigiert haben (s. Anm. im Text).)

Lajos Portisch 01
Lajos Portisch (Foto: Harry Schaack)

LAJOS PORTISCH

Der Ungar ist ein Bariton. Er war in den Achtziger Jahren die Nr. 3 der Welt und kämpfte mehrfach in Kandidatenmatchs um die Weltmeisterschaft.

„Ich bin von meiner frühen Jugend an mit Musik konfrontiert gewesen, denn ich spielte schon als Kind Violine. Die Noten und die Basiselemente der Musik waren mir von früh auf vertraut. Ich bekam mein Instrument von meinem Vater geschenkt. Er war ein Amateurmusiker, der aber über ein sehr gutes musikalisches Gehör verfügte. Er spielte vortrefflich. Mit fünf oder sechs Jahren begann ich, Violinestunden bei einem Violinenspieler zu nehmen. [In unserer Printversion ist versehentlich von einer Musiklehrerin die Rede.]

Neben dem Violinenspiel hatte ich schon immer Lust zu singen, denn man attestierte mir eine gute Stimme. Den Gesang professionell zu betreiben, war aber sehr schwierig, da es eines umfangreichen Trainings bedarf. Ich wuchs in einer kleinen ungarischen Stadt auf. Erst als ich nach Budapest zog, nahm ich einige Gesangsstunden. Mit 18 Jahren fand diese Betätigung allerdings ein Ende. Ich wurde sehr rasch Großmeister und vertrat Ungarn bei der Olympiade. Durch die Erfolge realisierte ich, dass Schach mein Leben ist. Musik blieb immer ein Traum.

Als ich aber in meiner Karriere feststellte, dass ich keine Chance mehr hatte, Weltmeister zu werden, begann ich 1985 mein Gesangsstudium zu intensivieren. Seit dieser Zeit arbeite ich ständig mit einem Musikprofessor zusammen und übe jeden Tag. Seither hatte ich viele Auftritte. Auch auf der kleinen Bühne der ungarischen Oper habe ich schon Schumanns Dichterliebe gesungen. Mein Schwerpunkt liegt auf der Liederinterpretation, wobei die Werke der deutschen Komponisten Schubert und Schumann zu meinen Favoriten zählen. Bei meinen Auftritten kombiniere ich gerne Teile der Liederzyklen Die Schöne Müllerin und Winterreise, weil dabei eine besondere Spannung entsteht. Ich denke übrigens, ich singe besser Deutsch, als ich es spreche (lacht). Mein Repertoire umfasst an die 200 Lieder sowie viele Opernarien [In unserer Printversion ist versehentlich „500 Lieder“ zu lesen.] und mein Lieblingsstück ist Schumanns Zwei Grenadiere, die Vertonung der berühmten Ballade Heines. Dieses Stück habe ich am häufigsten vor Publikum gesungen.

Mein Gesangsstil ist ähnlich wie mein Schachstil. Im Schach bin ich ein Kämpfer und meine kraftvolle Stimme eignet sichfür eine Wagneroper – ich bin sozusagen ein Wagnerbariton. Wenn ich ein Opernsänger wäre, dann wären Wagnerrollen wie Der fliegende Holländer für mich geeignet.

Neben meiner Vorliebe für deutsche Komponisten mag ich auch die deutschen Interpreten sehr gerne. Thomas Quasthoff und die Großen wie Dietrich Fischer-Dieskau und Hermann Prey sind meine Idole.

Was ich bei der Musik nicht besonders mag, ist Konzentration (lacht). Beim Turnierschach ist es das wichtigste. Wenn ich zuhause singe, dann geschieht das intuitiv und nicht in konzentrierter Anstrengung. Es ist eine Freizeitbeschäftigung. Das kann man auch beim Schach haben, aber nur, wenn man keinen Gegner hat (lacht). Bei einem öffentlichen Konzert ist das natürlich anders.

So viele Stunden wie beim Schach kann man mit dem Piano oder mit der Stimme übrigens nicht trainieren. Es ist möglich vier oder fünf Stunden am Tag Stellungen zu analysieren, aber unmöglich jeden Tag so lange zu singen.

Musik hält mich während des Schachs in guter Stimmung, auch wenn ich zuhause am Schachbrett arbeite. Sehr oft stehe ich zwischendurch auf, gehe an mein Piano und beginne zu singen. Nach einer halben Stunde kehre ich zurück ans Schachbrett und bin viel inspirierter. Musik ist für mich eine Form der Entspannung und sie hilft mir, meine Kreativität zu entfalten.

Gelegentlich passiert es mir, dass mir während einer Turnierpartie plötzlich eine Melodie in den Sinn kommt. Das ist sehr unangenehm. Ich versuche das dann schnell zu vergessen, was mir nicht leicht fällt. Meistens ist es sehr störend für meine Konzentration.

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Lajos Portisch (Foto: Thomas Huth)

Mein Anspruch im Schach war es nie, perfekt zu spielen. Ich wollte vor allem gewinnen. Auch wenn eine Partie grobe Fehler enthält, ist man nach dem Gewinn zufrieden (lacht). Schach ist für mich nicht nur Kunst, sondern vor allem Sport. Alle Schachspieler wollen Künstler sein. Aber das Problem ist, dass ihnen ein Gegner gegenüber sitzt, der die Entfaltung einschränkt.

Bei der Musik, besonders bei einem Liederabend, wo nur der Sänger und der Pianist auf der Bühne stehen, ist das anders. Da ist man auf sich alleine gestellt und kann sich ungestört entfalten.

Im Schach zählte für mich immer nur der Sieg. Im Alter, wenn die Spielstärke nachlässt, wird man etwas liebenswürdiger, praktischer. Da ist ein Remis kein schlechtes Resultat. Aber ich teile Schachspieler schon immer in zwei Lager ein: Die einen, die mit zwei Remisen zufrieden sind, und die anderen, zu denen auch ich zähle, die lieber eine Partie gewinnen, auch wenn sie dafür eine Niederlage in Kauf nehmen müssen. Wenn es mir früher einmal nicht gelang, längere Zeit eine Partie zu gewinnen, wie das gelegentlich in langen Matches geschah, wurde ich sehr ärgerlich.

Wenn ich über Harmonie nachdenke, muss ich unwillkürlich an Botwinnik denken, der eines meiner Idole war. Als ich seine Analysen und Partien studierte, hatte ich das Gefühl, seine Figuren seien lebendig! Weil sie so harmonisch zusammenagierten, wirkten sie nicht aus Holz, sondern wie reale Lebewesen. Harmonie ist überall sehr wichtig: im Schach, in der Musik und nicht zuletzt im Leben!

Allerdings kann es nicht immer das Ziel eines Schachspielers sein, Harmonie herzustellen. In einer Auseinandersetzung versuchen die Kontrahenten immer den Gleichklang der gegnerischen Stellung zu stören. Und die Harmonie gebe ich offen gesagt gerne auf, wenn ich dafür eine Figur gewinne …

Das Harmoniegefühl ist natürlich auch in der Musik von entscheidender Bedeutung. Neben einer guten Ausbildung ist vielleicht das Gehör am wichtigsten. Das Gehör in der Musik ist zu vergleichen mit dem Stellungsgefühl, dem Gefühl für die Kooperation der Figuren.

Ich bedauere es etwas, dass die meisten Schachspieler wenig Kenntnis in der Klassischen Musik haben. Unglücklicherweise traf ich selten Leute beim Schach, mit denen ich über Musik sprechen konnte. Die interessantesten Konversationen hatte ich mit Smyslow, der mir einige sehr nützliche Hinweise zur russischen Musik gab.

Heute verstehe ich mich als Botschafter der klassischen Musik. Mein Ziel ist es, bei Schachveranstaltungen immer auch die musikalische Bildung zu fördern (lacht). Mein Motto heißt: 15 Schubert- Lieder und 25 Damengambit, d.h. zuerst singe ich, dann spiele ich. Wenn ich ein Simultan gebe, müssen die Teilnehmer zuerst ein bisschen Klassik „erleiden“.

Im Schach wie in der Musik hatte ich in meinem Leben viele Momente großer Befriedigung, im Schach allerdings häufiger. Wenn man eine gute Partie gewinnt, befriedigt einen das sehr. Wenn ich beim Singen nicht in der besten Verfassung bin, ist das Publikum meist trotzdem freundlich und schätzt die Aufführung. Beim Schach dagegen wird man mit einer Niederlage bestraft. Der Grad der Befriedigung ist schwer zu vergleichen, denn Schach war mein Beruf und Musik ist mein Hobby.“


Aufgezeichnet und aus dem Englischen übersetzt von Harry Schaack

(Den ganzen Artikel lesen Sie in KARL 4/07.)