MIR IST BEWUSST, DASS ICH GLÜCK HATTE
Harry Schaack sprach drei Wochen nach dem Match via Skype mit Weltmeister Vishy Anand über Freundschaft, Schwächen und Erholung.
(Das Interview ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 2/12.)
KARL: Sie haben ein gutes Verhältnis zu Ihrem Gegner Boris Gelfand. Hat das Match Ihre Freundschaft negativ beeinflusst?
VISHY ANAND: Ich glaube nicht. Ich respektiere ihn sehr. Wir sind schon lange befreundet, obwohl wir Rivalen sind. Nach einer so langen Vorbereitungszeit und in Anbetracht dessen, was auf dem Spiel stand, ist ein emotionaler Tribut nicht zu vermeiden.
Wie wäre es umgekehrt gewesen, wenn Sie Ihren Titel verloren hätten?
Ich denke nicht, dass es mich davon abgehalten hätte, weiterhin mit ihm freundschaftlich verbunden zu sein. Aber irgendwo im Unterbewusstsein hätte das Match sicher einen negativen Eindruck hinterlassen. Ich nehme an, dass es bei ihm genauso ist. Es braucht einige Zeit, die Enttäuschung zu überwinden.
Sie sind mittlerweile ein Wettkampfprofi. Wie lange dauert es, bis Sie sich von den Anstrengungen eines solchen Matches erholt haben?
Man erholt sich schneller, wenn man beschäftigt ist. Nach dem Match hatte ich viele Verpflichtungen, die mich ablenkten. Wir sind seit einigen Tagen wieder in Madrid. Ich spiele viel mit meinem Sohn Akhil und tue sonst recht wenig. Physisch, emotional und nervlich braucht es eine Weile, bis wieder alles „normal“ ist. Im Juni fiel es mir sehr schwer, irgendetwas zu arbeiten. Ich fühlte mich jeden Tag unglaublich träge und erschöpft. Man fällt in eine Agonie. Selbst kleinste Aufgaben sind nur mühsam zu bewältigen.
War es für Sie etwas Besonderes, in Moskau zu spielen?
Für einen Schachspieler ist es immer schön, in Moskau zu spielen. Es ist eine Stadt mit einer großen Schachtradition. Die Tretjakow-Galerie war ein reizender Ort für eine solche Veranstaltung. Zudem sind die Russen eine sehr sachkundiges Publikum.
Im Gegensatz zu den letzten Weltmeisterschaften war diesmal eine Vielzahl von Weltklassespielern und -trainern vor Ort. Wegen der vielen Experten entstand immer etwas Unruhe, weil jeder das Match kommentieren wollte. In der Pressekonferenz sind Sie mit einigen Vorwürfen konfrontiert worden.
Wahrscheinlich haben mich diese Vorwürfe gestört. Wenn viele Leute sagen, ich würde zu vorsichtig spielen und sei unmotiviert, lässt mich das irgendwann nicht mehr kalt. Es ist trotzdem besser, zu viel als zu wenig Atmosphäre zu haben. Selbst wenn sie negativ ist. Ich mag die Intensität.
- (Foto: © Harry Schaack)
Wie lange haben Sie sich auf den Kampf vorbereitet?
Wir haben im Januar in Bad Soden mit dem gesamten Team begonnen und arbeiteten dann drei ganze Monate. Danach gab es einige Unterbrechungen. Vor Matchbeginn hatte ich zwei Wochen völlige Ruhe.
Wie lange dauerte es, bis Ihre Eröffnungsstrategie stand?
Ich hatte im Januar viele Ideen, von denen aber nur sehr wenige überlebten. Nach einigen Wochen hat sich vieles verändert, mit vielem waren wir nicht mehr zufrieden. Im Februar trafen wir grundlegende Entscheidungen. Die Gesamtstruktur veränderte sich bis zum Schluss. Wir hatten Torschlusspanik, weil wir bei einigen Varianten unsicher waren. Einige Dinge änderten sich sogar noch kurz vor Partiebeginn.
Sie haben in der Pressekonferenz angedeutet, dass Sie neben Ihrem Sekundantenteam noch andere Helfer hatten. Können Sie darüber nun etwas sagen?
Nein, das will ich eigentlich nicht verraten. Es sind gute Freunde, die mir geholfen haben, und dabei will ich es belassen.
Sie kennen Ihren Gegner seit über zwanzig Jahren. Kann man da überhaupt noch unbekannte Schwächen entdecken?
Die Schwächen eines Spielers bleiben mehr oder weniger das ganze Leben lang bestehen. Sie hängen mit dem Charakter und der Persönlichkeit zusammen. Es ist sehr schwer, solch grundlegende Dinge zu ändern. Wenn ich meine heutigen Fehler mit denen Ende der Achtziger vergleiche, sind sie fundamental sehr ähnlich. Ich erkenne die Muster. Genauso ist es mit Boris. Wir kennen uns schon sehr lange. Ich weiß natürlich, wo seine Stärken liegen und was er nicht so gut handhabt. Doch es ist enorm schwer, solche Schwächen zielgenau auszunutzen.
Sie haben mehrfach Stellungen angestrebt, in denen Sie gegen das Läuferpaar gekämpft haben. Ist eine Schwäche Gelfands, dass er das Läuferpaar überschätzt?
Mehrere Leute haben mich darauf hingewiesen. Aber ich habe nicht absichtlich darauf abgezielt. Ich würde eher sagen, dass es symptomatisch für meinen Spielstil ist. Da ich Stellungen angestrebt habe, in denen ich Boris das Läuferpaar kampflos überließ, bin ich wohl kein „Läuferpaar-Typ“.
Jemandem wie Kramnik würde es viel schwerer fallen das Läuferpaar abzugeben. Aber wenn man Nimzo-Indisch oder Rossolimo spielt, ist es unmöglich, das Läuferpaar zu behalten. Diese Stellungen sehen für mich natürlich aus und ich versuche sie auch nicht zu vermeiden.
Eine meiner Lieblingsgeschichten handelt von Botwinnik. Vor dem WM-Turnier in Den Haag und Moskau 1948 bereitete er sich auch intensiv auf Euwe vor, gegen den er zuvor noch nie gewonnen hatte. Er entdeckte, dass der Ex-Weltmeister, wenn er die Wahl hat, stets lange Damenzüge bevorzugt. Diese Geschichte hat mich sehr beeindruckt. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie man diese Information in einen Vorteil verwandeln kann. Daran musste ich denken, als ich auf die Stellungen mit dem Läuferpaar angesprochen wurde.
Es war einfach nur Zufall. Ausschlaggebend war wohl eher meine eigene stilistische Präferenz. Spieler, die gerne mit dem Läuferpaar spielen, werden vermutlich nicht Nimzo-Indisch oder Rossolimo spielen.
- (Foto: © Harry Schaack)
Haben Sie den Matchverlauf in etwa so erwartet, wie er sich ergeben hat?
Mehr oder weniger. Ich dachte, dass wir etwa gleichauf sein werden, und dass es schließlich auf ein, zwei Fehler ankommen wird.
Sie sagten in einem Interview, dass Sie mit Eröffnungsüberraschungen gerechnet haben. Warum?
Durch die lange Vorbereitungsphase hat man viel Zeit, sich mit neuen Systemen zu beschäftigen. Die Leute nutzen gewöhnlich ihre Chance. Es kommt normalerweise nicht vor, dass man sich mehrere Monate mit drei oder vier starken Spielern intensiver Analyse widmen kann. Zudem hat man zu einer neu erarbeiteten Eröffnung ein positives Gefühl und man spielt nicht so mechanisch. Der Gegner wird während des Matches mit völlig neuen Problemen konfrontiert. Etwas zu ändern ist eine logische Konsequenz und jeder kommt früher oder später zum selben Ergebnis.
Sie haben im Interview auf Chessvibes erzählt, dass Sie sich von Peter Heine Nielsen eine Überraschungsvariante für Grünfeld haben zurechtlegen lassen. Sind Sie mit allen denkbaren Eröffnungen so verfahren?
Ja. Wir haben versucht, auf alles zumindest eine überraschende Antwort parat zu haben.
Wie viel konnten Sie nach der ungewöhnlichen Eröffnungswahl Gelfands davon benutzen?
Auf jeden Fall hat er meine größten Überraschungen umgangen. Jeder hat ein paar Hoffnungen für das Match. Boris war sehr vorsichtig. Wie ein Detektor hat er herausgefunden, wo meine Minen versteckt waren und hat die gefährlichsten Abspiele gemieden. Ich denke, mir ist Ähnliches mit Schwarz gelungen.
- (Foto: © Harry Schaack)
Was kann man während eines Matches noch ausrichten gegen einen Kontrahenten, der seine Abspiele monatelang vorbereitet hat?
Ich denke z.B., dass Boris mehr Zeit für Sweschnikow aufgewendet hat als für Rossolimo, obwohl er den Eindruck vermittelt hat, dass er auch diese Strukturen gut versteht. Wir haben uns für Rossolimo entschieden, weil ich so zuvor nicht oft gespielt hatte. Unsere Hoffnung war, dass das Team von Boris dafür die meiste Arbeit während des Matches aufwenden muss.
Haben Sie die Partien schon analysiert?
Nein. Ich hatte noch keine Lust dazu. Ich werde das wohl im Juli machen. Wie schon gesagt, kann ich mich im Moment zu nichts motivieren. Mir fehlt einfach die Energie.
Wie schätzen Sie die Qualität Ihres Spiels ein?
Ich bin ganz gut mit den Problemen fertig geworden. Ich würde nicht sagen, dass ich brillant gespielt habe. Aber das war auch schwierig, weil mich Boris ständig in unbekanntes Gelände gelockt hat. Mit Schwarz habe ich stabil gespielt und nur zweimal – in der siebten und neunten Partie – Desaster erlebt. Aber ich habe natürlich nicht fantastisch gespielt.
Was waren die theoretischen Errungenschaften des Matches?
Der Slawe mit a6 ist interessant. Im Grünfeld ist in unserem Match im f3-System Vieles verborgen geblieben. Und Rossolimo kam beim nach dem Match gespielten Tal Memorial dreimal aufs Brett. Das sind drei Ideen, die wohl noch einige Zeit diskutiert werden.
(Das Interview ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 2/12.)