ICH WOLLTE EIN PRAXISORIENTIERTES BUCH SCHREIBEN

Ein Interview mit Juri Awerbach

(Der Text ist folgend auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Artikel lesen Sie in KARL 2/08.)

Juri Awerbach 2006 in Tallinn (Foto: Harry Schaack)
(Foto: Harry Schaack)

Sein Name ist zum Eponym seines Hauptwerks geworden: Juri Awerbach. Sein umfängliches Lehrbuch der Schachendspiele, kurz der Awerbach genannt, war jahrzehntelang die zuverlässige Referenz in Sachen Endspielfragen. In Zeiten, als es noch Hängepartien gab, gehörte dieses mehrbändige Werk zum steten Begleiter jedes ambitionierten Turnierspielers.

Dabei vergisst man heute leicht, dass Juri Awerbach viel mehr als nur ein herausragender Endspieltheoretiker ist. In den 50er und 60er Jahren zählte er zu den besten Spielern der Welt. Von seinen zahlreichen Turniererfolgen ist der Gewinn der russischen Landesmeisterschaft 1954 – eines der stärkst besetzten Turniere jener Zeit – wohl der bedeutendste.

Seine Liebe zur Studie und seine theoretische Arbeit an Endspielen brachte mehr als hundert eigene Kompositionen hervor. Dadurch war er ebenfalls als Sachverständiger von Schachkompositionen tätig. Auch als Eröffnungstheoretiker hat er sich einen unvergesslichen Namen gemacht, wovon noch heute die Awerbach-Variante im Königsinder zeugt. Zudem ist er als internationaler Schiedsrichter der FIDE tätig gewesen und leitete 1993 den WM-Kampf zwischen Kasparow und Short. Von 1973-78 war er Präsident des russischen Schachverbandes.

Über seine Autorenschaft zahlreicher Bücher hinaus war er mehrere Jahre als Redakteur des bedeutenden russischen Schachmagazins Shakmaty v SSSR tätig. Auch in der Belletristik fernab des Schachs hat er sich versucht. Seine Kurzgeschichte „Von Hunden und etwas von Frauen“ wurde 2005 in Frau und Hund – Zeitschrift für kursives Denken in deutscher Sprache publiziert.
Nicht zuletzt ist Awerbach als Schachhistoriker tätig und hat zur Herkunft des Schachspiels Texte veröffentlicht.

Mit Harry Schaack sprach der immer noch sehr agile 86-Jährige über seinen Endspielklassiker.


KARL: Aus welchen Büchern haben Sie selbst das Endspiel erlernt?
JURI AWERBACH: In meiner Kindheit habe ich mich intensiv mit Nimzowitchs Mein System beschäftigt. Ich war schon damals besonders an den Endspielen interessiert.

Warum ist das Endspiel so faszinierend für Sie?
Ich liebe die Präzision und die Exaktheit des Spiels. Diese Elemente werden besonders deutlich, wenn nicht mehr sehr viele Figuren auf dem Brett stehen.
Wissen Sie, ich war eine Art Forscher. Mich interessierten die vielen verschiedenen Arten von Endspielen. Gelegentlich sind die Lösungen studienartig. Manchmal gibt es nur eine einzige Lösung, die man sehr präzise realisieren muss.
An taktischen Endspielen war ich nie interessiert. Für mich war einzig von Bedeutung, den exakten Weg zu einem Gewinn oder Unentschieden zu finden. Das ist keine Frage von Taktik oder Nicht-Taktik, sondern es ist eine Frage der Technik.

Welche besonderen Qualitäten braucht man zum systematischen Analysieren der Endspiele?
Ich habe an der technischen Hochschule Maschinenbau studiert und arbeitete danach im Bereich der Technischen Wissenschaften als Ingenieur. Dort lernt man systematisch zu arbeiten. Die gleiche Herangehensweise nutze ich beim Analysieren von Endspielen.

Leitete sich von den Erfahrungen aus Ihrem Beruf auch die Idee ab, ein systematisches Endspielbuch zu schreiben?
Zuerst fing ich an, Endspiele zu analysieren. Ich hatte zunächst noch keinesfalls die Idee, ein Buch zu schreiben. Das Endspiel gehört einfach zum Schach und da ich bald Profi wurde, war dieser Analyseteil einfach Bestandteil meines Trainings. Aber bald sammelte sich eine erhebliche Menge an Material an. Und um die Erkenntnisse nicht in der Schublade verstauben zu lassen, lag es nahe, ein Buch zu schreiben. Bei meiner ersten Publikation dachte ich allerdings von vornherein daran, dass es sehr wichtig ist, Material zu sammeln, das für jede Sorte Spieler verwendbar ist. Ich wollte wenigstens gewährleisten, dass jeder, der das Buch gelesen hat, über ein Basiswissen der grundlegenden Endspiele verfügt. Mein erstes Buch Was man über das Endspiel wissen muss ist deshalb für jedermann.

Wieviel Zeit haben Sie für ihr erstes Buch benötigt?
Wissen Sie (lacht), ich habe dieses Buch in zwei Wochen geschrieben. Aber natürlich hatte ich die größte Menge an Material vorher bereits analysiert. Es ist ein kleines Buch, aber ich hatte versucht, all das komprimiert darzustellen, was jeder Schachspieler, der korrekt Endspiele spielen wollte, wissen sollte. Es war übrigens gleichzeitig mein populärstes Buch, weil es in ungefähr 20 Sprachen übersetzt wurde. Damals gab es kaum Endspielliteratur.

Nach diesem ersten Buch haben Sie ab Ende der 50er Jahre ihr mehrbändiges Hauptwerk „Lehrbuch der Endspiele“ veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Anfang der 50er Jahre hatten Paul Keres, Igor Bondarewski und ich zusammen ein Mittagessen. Wir unterhielten uns über dies und jenes und während unseres Gesprächs hatten wir die Idee, ein fundamentales Werk über Endspiele zu verfassen. Aber daraus wurde dann nichts, weil Keres damit beschäftigt war, um die WM zu spielen, und Bondarewski die Gelegenheit wahrnahm, Smyslow als Sekundant zur Seite zu stehen. Schließlich war ich mit der Aufgabe alleine gelassen. Und so blieb es an mir, dieses universale Buch über Endspiele zu schreiben.

Brauchten Sie zur Veröffentlichung eines Buches die Zustimmung einer offiziellen Institution wie des russischen Schachverbandes?
Nein, das war nicht notwendig. Man musste nur ein Übereinkommen mit dem Verlagshaus finden. Ich kam mit dem Verlag für Kultur und Sport überein, ein umfassendes Werk über jegliche Arten von Endspielen zu veröffentlichen. Daraufhin habe ich ein kleines Team zusammengestellt, dem Miselis, der ein Experte in Bauerendspielen war, Kopajew, ein Experte in Turmendspielen, sowie Khenkin, ein Damenendspielen- Experte, angehörten.

War nicht auch Tschechower Teil des Teams?
Ja, natürlich. Tschechower gehörte auch zu unserem Team. Tut mir Leid.

Wie groß war die Auflage der „Lehrbücher“ in der Sowjetunion?
Die einzelnen Bände hatten alle jeweils eine Auflage zwischen 25.000 und 30.000.

Wissen Sie, in wieviele Sprachen man das Werk übersetzt hat?
So weit mir bekannt ist, wurde es ins Englische, Deutsche und ins Französische übersetzt.

Wie war die Qualität der Endspielbücher vor Ihrem „Lehrbuch“?
Zu jener Zeit gab es nur ein mit meinem Buch vergleichbares Werk, Cherons Lehr- und Handbuch der Endspiele. Es war ein gutes Buch, aber es war von einem Experten für Endspielstudien geschrieben. Ich wollte dagegen ein praxisorientiertes Buch schreiben und ich bereitete mein Material für Turnierspieler auf, nicht für Theoretiker. Das war der Hauptunterschied zu den Vorgängern.

Und wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?
Ich habe mit diesem Buch tatsächlich sehr viele Jahre meines Lebens verbracht. Der erste Band kam 1956 heraus, der zweite 1958, der dritte 1962. Da wir oft neues Terrain betraten, hat die systematische Ausarbeitung sehr viel Zeit in Anspruch genommen.

Überetzung aus dem Englischen: Harry Schaack

(Der Text ist folgend auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Artikel lesen Sie in KARL 2/08.)