KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

WERDEN SIE AM SCHACHBRETT AUSGELACHT?

ODER

WER SPIELT HEUTE NOCH DIE BIRD ERÖFFNUNG?

Von FM Uwe Kersten

Taylors Bird's Opening Cover

Timothy Taylor,
Bird´s opening
(detailed coverage of an underrated and dynamic choice for White),
Everyman Chess 2005, 224 Seiten,
21,50 €

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Ich gebe es zu – nur widerwillig habe ich vorliegendes Buch zur Hand genommen. 1.f4 – Birds Eröffnung, eine natürliche Abneigung macht sich da bei mir breit und vermutlich bin ich nicht der Einzige, bei dem Bird nicht hoch im Kurs steht. Allgemein wird die Eröffnung als nicht ganz vollwertig angesehen – zumindest, wenn man mit Weiß um Vorteil kämpfen will – und die unverbesserlichen Anhänger von 1.f4 meist nur mitleidig belächelt.

Der Autor, der Internationale Meister Timothy Taylor, ist sich dieser Situation bewusst, nicht zuletzt durch seine eigenen Erfahrungen. Selber regelmäßiger und erfolgreicher(!) 1.f4-Spieler, merkt er in seinem Vorwort an, dass man schon damit rechnen müsse, „ausgelacht“ zu werden, wenn man zu Birds Eröffnung greift. Wer Bird spielt, folgt halt nicht der breiten Masse der 1.e4- oder 1.d4-Spieler, sondern ist kreativ genug, seinen eigenen Weg zu gehen und dies nicht später als ab dem 1.Zug!

Wer also mit dem Spott seiner Mitmenschen leben kann, der ist zu Bird bereit, doch was für Schwierigkeiten erwarten einen nach 1.f4 auf dem Schachbrett? Nach einem einführenden historischen Abschnitt, natürlich mit der berühmten Partie zwischen Lasker und Bauer, gliedert Taylor sein Buch in drei große Teile. Zunächst werden alle Systeme nach 1.f4 d5, welches die mit Abstand häufigste Antwort darstellt, an Hand von Beispielpartien analysiert. Dabei untersucht er praktisch alle gängigen Aufmärsche für Weiß und orientiert sich bei der Namensgebung an der schwarzen Schwestereröffnung – Holländisch – so dass Weiß Beispiele zum Stonewall, dem Leningrader oder Klassischen Bird vorgestellt bekommt. Im zweiten Teil wird mit Froms Gambit (1.f4 e5), die wohl schärfste Erwiderung unter die Lupe genommen. Im abschließenden dritten Teil werden alle übrigen Systeme untersucht. Der Theorieteil macht einen guten und übersichtlichen Eindruck, die Beispielpartien werden ausführlich kommentiert. Auch Objektivität scheint mir gegeben, da z.B. die schon oben erwähnte Glanzpartie zwischen Lasker und Bauer, eigentlich der Werbeträger für Bird schlecht hin, bei der Kommentierung durchaus sein Fett wegkriegt. Außerdem bekommt auch der Schwarzspieler wichtige Hinweise zur richtigen Behandlung der Bird-Struktur, was man in vielen „Winning with …“ Büchern vergeblich sucht.

Natürlich kann auch Timothy Tayler mit seinem Buch dem Zug 1.f4 nicht zu einem Status verhelfen, den die etablierten Eröffnungszüge schon lange innehaben. Aber – und dies muss ich dem Autor bescheinigen – ihm gelingt es auf sympathische Art und Weise, den Leser mit den Ideen der Bird-Eröffnung vertraut zu machen und – dies hätte ich vorher kaum für möglich gehalten – vielleicht sogar den Wunsch zu wecken, auch einmal 1.f4 auszuprobieren.

FAZIT

Taylor legt ein gutes Buch über eine seltene und vielleicht auch wirklich unterschätze Eröffnung vor. Wer kreative Spieler wie Bent Larsen zu seinen Vorbildern zählt, der übrigens mit neun Partiebeispielen als Weißer vertreten ist, hat vielleicht auch genug Kreativität und Mut, um 1.f4 zu wagen. In diesem Fall ist das vorliegende Werk 1. Wahl!