ZWISCHENSTOPP IN OBERURSEL

Mit 14 Jahren ist Arianne Caoili schon Schachprofi. Im Gespräch mit Karl erzählt die Philippinerin von den Freuden des Reisens, Großmeistern, die vergessen, dass sie gegen sie verloren haben, und was Schach und Tennis gemein haben.

Text: Harry Schaack

Arianne Caoili
(Foto: Thomas Falck)

Mit acht Jahren sah Arianne Caoili einen Film, der sie nicht mehr los gelassen hat. Searching for Bobby Fischer handelt von einem New Yorker Jungen, der – wie sie – die Regeln allein durch Zusehen erlernt und seinen Altersgenossen am Schachbrett bald weit voraus ist. Wieder und wieder hat sie sich das Video angesehen – hat sich gesehen.

Inzwischen ist Arianne Caoili 14 und schon ein richtiger Medienprofi. Ein aufgewecktes Mädchen – keck, quirlig und eloquent. Sie gehört zu den fünf Besten ihrer Altersklasse. Das Wort Star hört sie nicht so gerne. Doch als sie noch in ihrem Heimatland gelebt hat, kamen die Journalisten wöchentlich zu ihr nach Hause. Sie ist Philippinerin und spielt auch heute noch für ihr Land, doch seit einigen Jahren wohnt sie mit ihrer Familie in Australien. Aber was heißt wohnen: mehrere Monate im Jahr tourt sie um die Welt, besucht ein Turnier nach dem anderen.

Die Unruhe steckt ihr irgendwie im Blut. Auf den Philippinen bewohnte ihre Familie ein sehr großes Haus mit vielen Zimmern. Sie schlief jeden Tag in einem anderen. “ Ich reise wirklich gerne, aber wenn wir so lange von zu Hause weg sind, dann freue ich mich darauf, wieder nach Australien zu fahren und meine Geschwister, Verwandten, und Freunde wiederzusehen. Für mich ist es kein Stress, aber für meine Mutter. Ich bin noch jung.“

Sie ist erst 14, aber schon ein Schachprofi, und das will erst einmal finanziert werden. Unterstützung bekommt sie keine. „Der philippinische Verband hat kein Geld und ist schlecht organisiert“, sagt sie. „Wir bezahlen alles privat.“ Dass sie Begleitung braucht, ist ein Problem. Sie bekommt zwar manchmal von den Veranstaltern ein Zimmer gestellt, ihre Mutter muss aber immer voll bezahlen. In Anbetracht der vielen Monate, die sie in Europa unterwegs sind, wird das teuer. Als Arianne 1997 das erste Mal in Bad Wiessee spielte, lernte sie Thomas Falk kennen, einen Oberligaspieler aus Oberursel im Taunus. Sie befreundeten sich, und Falk bot seine Unterstützung an. Er hatte eine Wohnung geerbt, die er den Caoilis fortan zur Verfügung stellte, wenn sie in Deutschland waren. Eine Hilfe, die sie dankbar annehmen. Während eines Zwischenstopps in Oberursel hat KARL Arianne getroffen.

Wenn man so oft und lange unterwegs ist wie sie, gibt es noch ein anderes Problem: die Schule. Als sie noch in Manila lebte, hatte sie Privatunterricht. „Aber jetzt ist das schwieriger geworden“, erklärt das zierlich gewachsene Mädchen. „Meine Mutter erkundigt sich im Moment nach einem Fernunterricht. Da läuft dann alles über E-Mail.“

Bei Turnieren legt sie besonderen Wert auf die Atmosphäre. Die Jugend-WM in Oropesa del Mar mag sie nicht. „Der Ort ist hässlich, beim ersten mal war es kalt und windig. Die Leute sind schrecklich und unfreundlich.“ Dazu kam, dass Begleitpersonen für die Unterkunft ganz schön zur Kasse gebeten werden – für Ariannes Mutter bedeutete dies 200 Mark pro Nacht für ein Hotelzimmer mittleren Standards. Auch über das Essen in Oropesa klagt Arianne. Das alles hat dazu geführt, dass sie dort bisher bei jeder Teilnahme unter ihren Möglichkeiten blieb. Aber es gibt auch andere Veranstaltungen. „Dieses Jahr habe ich in Dortmund das Match gegen Baramidze gespielt. Das ist eine moderne Stadt, die gefällt mir. Wenn möglich, werde ich da auf jeden Fall wieder spielen. Aber vor allem mag ich Bad Wiessee. Die haben eine super Organisation, eine tolle Atmosphäre, und dort habe ich meine erste Norm gemacht.“

Es mag erstaunen, dass ein Talent wie Arianne Caoili keinen festen Trainer hat. Sie arbeitet nur zeitweise mit Großmeistern zusammen – solange eben das Geld reicht. Jossif Dorfman hat sie längere Zeit trainiert, auch bei Lew Psachis und Alexander Baburin hat sie schon Stunden genommen. Im Moment muss sie sich ihr Trainingsprogramm selbst zusammenstellen. „Ich benutze Bücher und Computerprogramme, versuche mein Eröffnungsrepertoire zu erweitern, was man eben so tun kann.“

1999 hatte sie in Paris ihren bislang größten Erfolg, sie wurde Schnellschach-Weltmeisterin ihrer Altersklasse. Der stärkste Spieler, den sie bisher besiegt hat, ist Wladimir Jepischin, das war Anfang letzten Jahres in Malaga. Über den ehemaligen Karpow-Trainer, der schon mal zu den Top Ten zählte, sagt sie: „Er ist nett. Ich habe mich in Dortmund wieder mit ihm unterhalten. Ich denke, er hat vergessen, dass er gegen mich verloren hat.“ Das Mädchen hat auch weiterhin große Ziele „Nächstes Jahr strebe ich eine Elo von etwa 2350 an, und mit spätestens 16 will ich Damen-Großmeisterin sein. Auf längere Sicht ist die Damen-Weltmeisterschaft natürlich mein Ziel, aber es ist schwer, so etwas jetzt schon zu sagen.“

Durch ihren ehemaligen Trainer Dorfman hat sie viele Spieler privat kennengelernt. Aber was sind ihre Lieblingsspieler? „Von der Person Artur Jussupow. Er ist ein großer Spieler, hat eine exzellenter Technik, und ist sehr nett – ein guter Mensch. Er hat sich für meine erste Einladung nach Bad Wiessee eingesetzt.“ Vom Spiel imponieren ihr Taktiker wenig, sie bevorzugt Strategen: „Karpow ist definitiv mein Lieblingsspieler. Aber ich mag auch Capablanca. Mir gefällt, wie er Komplikationen vermied, er spielte sauberes und harmonisches Schach.“

Obwohl in Caoilis eigenen Partien eher ein Hang zum Taktischen zu erkennen ist, glaubt sie nicht, eine bestimmte Ausrichtung in ihrem Spiel zu haben. „Ich bin noch zu schwach, als dass man sagen könnte, dass ich einen bestimmten Stil habe. Ich bevorzuge aktive positionelle Stellungen. Dorfman habe ich mal gefragt: Was denkst du, was ist mein Stil? Du bist sehr universell, hat er geantwortet. Sehr flexibel.“

Arianne fasziniert die Möglichkeit, am Schachbrett immer wieder etwas Neues zu kreieren. „Ich lade mir jede Woche Partien aus dem Internet und spiele sie dann nach, auch von schwächeren Spielern. Es interessiert mich, wie sie denken, ich beobachte, wie unterschiedliche Leute unterschiedliche Gedanken entwickeln. Es ist unglaublich, dass Schach so viele Ideen beinhaltet. Und Du kannst mit jeder Partie einige davon versuchen.“ Besonders mag sie das Endspiel. „Mich fasziniert eine ausgefeilte Technik, die einen winzigen Vorteil zum Erfolg führt.“

Obwohl viel unterwegs, bleibt ihr Zeit für Hobbys. Sie ist sportlich, schwimmt gerne. Wenn sie auf den Philippinen ist, spielt sie jeden Tag Basketball. „Das ist dort so populär wie Fußball in Deutschland“, meint sie. Auch Tennis mag sie. In Europa hat sie einige Lektionen genommen, und in Australien schwingt sie das Racket mit ihren Geschwistern. „Tennis ist für mich ähnlich wie Schach. Die Art, wie gespielt wird, ist sehr taktisch.“

Auf ihren vielen Reisen hat Arianne viele Menschen und Kulturen kennengelernt. Neben zwei philippinischen Dialekten spricht sie fließend Englisch. Im Moment lernt sie Deutsch und Russisch. „Russisch ist von der Grammatik und von der Schrift sehr schwierig für mich. Dagegen empfinde ich Deutsch und Englisch als einfache Sprachen. Ich glaube, dass ich leichter die deutsche Sprache erlerne, obwohl mein Russisch im Moment besser ist, weil ich mit meinen Trainern und Freunden russisch rede.“

Doch es ist das Schachspiel, das ihren Alltag bestimmt. Wenn Arianne bei ihren Analysen ist, merkt sie mitunter nicht, wie die Zeit vergeht. Das sieht ihre Mutter nicht so gern. „Manchmal schaue ich mir nachts noch einige Partien auf dem Labtop an. Einmal bis um zwei Uhr nachts. Irgendwann kam meine Mutter ins Zimmer“, erzählt sie und fügt lachend an: „Sie wurde so böse mit mir.“