ICH KÄMPFE GERNE AM BRETT

Die amtierende Frauenweltmeisterin Antoaneta Stefanowa über die Auswirkungen ihres Erfolges in ihrer Heimat Bulgarien und die Probleme und Chancen des Frauenschachs.

Antoaneta Stefanova
Antoaneta Stefanova (Foto: Harry Schaack)

Spätestens seitdem Sie in diesem Jahr in Elista das KO-Turnier der Frauen-Weltmeisterschaft gewonnen haben, sind Sie in Bulgarien ein Superstar. Gab es einen Schachboom nach Ihrem Erfolg? Und was bedeutet der Titel für Bulgarien? Ich hoffe, mein Titel wird die Entwicklung des Schachs in unserem Lande fördern. Bulgarien hat eine lange Tradition im Schach, aber die Finanzen sind eines der dringlichsten Probleme. Da die Resonanz in den Medien während der Weltmeisterschaft gewaltig war, wird nun künftig ein größeres Interesse für das Schach vorhanden sein. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit sollte den Standard in unserem Land anheben.

Wie haben die einheimischen Medien über die Weltmeisterschaft berichtet? Zunächst wurden meine Kämpfe natürlich aufmerksam in den Zeitungen verfolgt. Das Fernsehen berichtete lediglich über meine Resultate. Da kein Fernsehteam in Elista war, gab es leider auch keine Direktberichte. Dennoch war das Interesse überaus groß, denn in Bulgarien ist Schach sehr populär.

Fühlen Sie sich verantwortlich für die Schachentwicklung in Ihrem Land und tun Sie etwas, um das Spiel in Bulgarien zu fördern?
Natürlich ist die Schachförderung in meinem Land eine große Verantwortung für mich. Ich hoffe, künftig noch mehr Werbung für das Spiel machen zu können. Da ich aber viele Verpflichtungen habe und an vielen Turnieren teilnehme, kann ich nicht zu viel versprechen.

Es war zu lesen, dass Sie sich auch sozial engagieren.
Als ich kürzlich zur Eröffnungsveranstaltung der FIDE-Weltmeisterschaft in Libyen war, wurde ich Mitglied der Libyen Charity Foundation, die mich zum Goodwill Ambassador ernannte. Die Stiftung kümmert sich hauptsächlich um Waisenkinder, aber auch um sozial schwache Familien, die Hilfe brauchen. Natürlich werde ich versuchen, künftig dasselbe für bulgarische Stiftungen zu tun.

Welche Menschen sind und waren die wichtigsten in Ihrer Karriere? Wer hat Sie besonders unterstützt?
An erster Stelle steht meine Familie. Mein Vater war auch mein Trainer, seit ich fünf Jahre alt war. Bis zu meinem sechszehnten Lebensjahr reiste er mit mir zu jedem Turnier. Und natürlich waren auch meine Mutter und meine Schwestern immer wichtig für mich. Im Moment habe ich einen Sekundanten, Großmeister Wladimir Georgiew, der mir auch in Elista zur Seite stand. Er ist für die Verbesserung meines Spiels sehr hilfreich. Vorher fuhr ich für gewöhnlich alleine zu Turnieren. Lange Zeit hatte ich keine Sponsoren und erhielt keine Hilfe von meiner Schachföderation. Vor zwei Jahren bekamen wir einen neuen Präsidenten, der mir finanzielle Unterstützung ermöglichte. Erst dadurch konnte ich Wladimir als Sekundanten gewinnen. Seither spiele ich auch mehr Turniere.

Wissen Sie, wie groß der Anteil an Frauen im bulgarischen Schach ist?
Unglücklicherweise gab es in den letzten zwanzig Jahren nicht so viele Spielerinnen. Ich denke, dass finanzielle Gründe dafür verantwortlich sind. Das gilt für das Frauenschach allgemein, denn speziell für Frauen ist es sehr mühsam, diesen Sport auszuüben. Nur wenn man unter den Top 20 ist, kann man seinen Lebensunterhalt mit dem Schach bestreiten. Alle anderen können schwerlich als Profi überleben. Die Situation ist äußerst problematisch. Viele bulgarische Talente – männliche wie weibliche – haben mit dem Schachspielen aufgehört und widmen sich anderen Dingen. Das ist traurig. Wir hatten so viele hoffnungsvolle Spieler und nun werden es von Jahr zu Jahr weniger. Daher denke ich, wir müssen dringend etwas unternehmen, um das Spiel wieder populärer zu machen. Ich habe daher für die Zukunft geplant, Schachschulen für Kinder einzurichten.
Im Moment ist die Situation in Bulgarien sehr schlecht. Es gibt wenig Clubs und an den Schulen wird die Schachförderung vernachlässigt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass sich dies ändert. Das wären wichtige Schritte für die Entwicklung in unserem Land.

Gab es zuvor schon Schachschulen in Bulgarien?
Nein, nicht direkt. Aber früher gab es bei uns an jeder Ecke einen Schachclub. Ich plane nichts komplett Neues, sondern ich will es in einer anderen Form machen. Im Vordergrund steht, Kindern ein Schachstudium mit fachlicher Anleitung zu ermöglichen.

Schach ist eine der wenigen Sportarten, bei denen Männer und Frauen gleiche Chancen haben. Was sind die Gründe für den sehr geringen Frauenanteil im Schach?
Da gibt es sicherlich viele. Etwa historische Gründe, weil Frauen in der Geschichte erst sehr spät begannen, Schach zu spielen. Sie wurden vom männlichen Umfeld auch nicht gerade ermutigt. Bis heute kümmert sich in den meisten Ländern niemand um Frauenschach. Darüber hinaus kann man mit dem Schachspiel wenig Geld verdienen. Gerade für Frauen ist es nicht leicht, beim Schach zu bleiben, selbst wenn sie sehr motiviert sind. Wenn du talentiert bist, hast du viele Pläne. Aber wenn sich dann keine Perspektive auftut, mit Schach ein normales Leben zu führen, weil das Geld fehlt, dann suchst du dir etwas anderes. Viele Frauen entscheiden sich für eine aussichtsreichere Karriere, andere gründen eine Familie. Ich hoffe, die Situation wird sich in den nächsten Jahren verbessern.

Vor vier Jahren spielten Sie bei der Olympiade in Istanbul in der bulgarischen Herren-Nationalmannschaft. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie Judit Polgar ausschließlich an Herren-Turnieren teilzunehmen?
Ich spiele hauptsächlich gemischte Turniere und denke nicht, dass dieser Schritt notwendig ist. Die Teilnahme am Herren-Olympiateam Bulgariens war eine interessante Erfahrung für mich. In Bled 2002 spielte ich wieder bei den Frauen, denn sie brauchen mich mehr und wir haben dadurch größere Chancen, etwas zu erreichen. Aber ich will auch künftig immer mal wieder bei den Herren spielen.

Was halten Sie davon, dass Frauenturniere separat ausgetragen werden?
Meiner Meinung nach brauchen wir mehr Frauenturniere. Ich verfolge viel lieber Turniere mit weiblichen Teilnehmerinnen, weil es weniger schnelle Punkteteilungen gibt und der „fighting spirit“ größer ist. Die Qualität der Partien ist dagegen bei den Herren höher, weil sie mehr Theorie abspulen. Ich denke, Frauenturniere sind für Publikum und Organisatoren reizvoller. Reine Frauenturniere sind sowieso rar gesät. Ich spielte dieses Jahr in Krasnoturinsk ein sehr starkes Frauenturnier, das vielleicht einzige dieser Art. Gäbe es mehr, wäre es sicher für viele Frauen interessanter, Schach zu spielen. Ok, ich spiele auch viele Turniere mit Herren. Aber wie viele Frauen können bei solchen Veranstaltungen gute Preise gewinnen?

Immer wieder werden negative Stimmen über das Frauenschach laut. Einige sagen, Frauen seien nicht so diszipliniert wie Männer. Andere meinen, sie könnten nicht so hart arbeiten. Auch Garri Kasparow äußerte einmal, Frauen könnten niemals so stark spielen wie Männer. Sie sind eine sehr starke Spielerin und gehören zu den wenigen Frauen, die einen Herren-Großmeistertitel tragen. Was denken Sie über diese Vorwürfe und Vorurteile?
Gut, wir haben Judit [Polgar], die beweist, dass wir mit den männlichen Topspielern mithalten können. Aus meiner Sicht sind die Vorurteile gegen das Frauenschach wie schon erwähnt historisch gewachsen, denn lange Zeit war der Unterschied zwischen den Geschlechtern erheblich. Doch das hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren verändert. Natürlich muss man hart für den Erfolg arbeiten, aber das muss jeder, der ein gewisses Level erreichen will. Judit tat das und hat das nötige Talent mitgebracht. Warum sollte diese Leistung für andere Frauen unmöglich sein?

Gibt es Ihrer Ansicht nach physiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die für das Schachspiel relevant sind?
Natürlich gibt es Unterschiede, einige sind vorteilhaft, andere nachteilig. Aber wenn du dich gut kennst, kannst du mit deinen Vorteilen arbeiten und die Nachteile neutralisieren. Ich denke, Frauen sind emotionaler als Männer, und das ist dem Schach abträglich. Während der Partien muss man vernünftig urteilen und die Lage bis zum Ende realistisch einschätzen. Aber das unterscheidet sich von Person zu Person. Deshalb mag ich solche generellen Behauptungen nicht.

Was sind die Gründe für den großen Erfolg der chinesischen Schachschule?
Nun ich denke, das ist offensichtlich. Es ist ein großes Land.

Aber die Chinesen spielten bis vor einigen Jahren noch keine Rolle im Schach und können demnach auf keine Geschichte zurückblicken.
Das ist richtig, aber seit einigen Jahren haben sie sich dazu entschieden, Schach zu fördern. Sie bereiteten sich sehr ernsthaft auf ihre Turniere vor und mehrere Monate Trainingslager sind nicht selten. Dabei werden alle Aspekte des Schachs berücksichtigt. Der Psychologie und der physischen Verfassung der Athleten wird in der Ausbildung gleicher Maßen Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist für einen einzelnen Sportler nicht leicht, all diese Gesichtspunkte bei seiner Vorbereitung zu berücksichtigen. Es gibt wenige Länder, die ihren Spielern solche Rahmenbedingungen bieten können. Aber die Chinesen taten und tun dies.

Sie sind bei den Medien sehr gefragt – heute mehr denn je. Wie ist ihr Verhältnis zur Presse? Fallen Ihnen die Reporter nicht manchmal auf die Nerven?
Nun, manchmal wird es anstrengend. Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Journalisten. Mit Sportjournalisten ist es normalerweise kein Problem. Aber dann gibt es noch die andere Sorte, die erfundene Storys aus deinem privaten Leben oder deiner Familie abdrucken.

Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht gesammelt?
Als ich z.B. jetzt in Elista mit meinem Sekundanten Wladimir Georgiew war, erschien ein Artikel, der behauptete, wir seien verliebt und wollten heiraten. Gut, das waren alles blödsinnige Dinge und nach kurzem Ärger vergesse ich so etwas gewöhnlich. Aber in diesem Fall betraf es Wladimir, der in einigen Monaten seine Freundin heiraten wird. Und besonders für die beiden war das nicht so angenehm. Solche Dinge mag ich nicht. Andererseits weiß ich, dass Schach Publicity braucht. Ich weiß, dass sich viele Menschen für mich interessieren und gerne etwas über mich lesen. Aber es gibt eben Grenzen.

Können Sie etwas über Ihre Stärken und Schwächen im Schach sagen?
Meine größte Schwäche ist, dass ich nicht so viel Theorie kenne. Aber ich mag es, kreatives Schach zu spielen und am Brett neue Ideen zu finden. Ich versuche damit, meine fehlenden Theoriekenntnisse zu kompensieren, was insbesondere in einigen scharfen Stellungen nicht ganz einfach ist. Aber ich genieße es, auf diese Weise Schach zu spielen. Ich kämpfe einfach gerne am Brett.

Eine letzte Frage: Was sind Ihre Ziele in naher Zukunft?
Natürlich versuche ich mein Bestes zu geben. Mehr zu lernen und mein Spiel zu verbessern. Von irgendeiner magischen Ratingzahl bin ich jedenfalls nicht besessen. Wenn ich gut spiele, kommt sie von alleine.

Das Interview führte Harry Schaack

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PERSONALIE:

Als Antoaneta Stefanowa vor wenigen Monaten den Weltmeistertitel errang, war dies nicht wirklich überraschend. Schon mit zehn Jahren wurde sie 1989 Weltmeisterin ihrer Altersklasse, 2003 gewann sie die Fraueneuropameisterschaft und zählt seither zu den wenigen Frauen, die den Herren-Großmeistertitel tragen. Mit einer Elo-Zahl von 2527 ist sie im Moment hinter Judit Polgar und Xie Jun die Nummer Drei der Frauenweltrangliste. Sie spielt in der kommenden Saison für den SK Emsdetten in der 2. Bundesliga.