„ES WAR EIN SEHR HARTER FIGHT“

Wenige Tage nach der entscheidenden Partie in Sofia hatte KARL Gelegenheit, mit Vishy Anand ein Gespräch zu führen. Kurz zuvor gab er in einem Interview auf chessbase.com einige erstaunliche Details über seine bis dahin unbekannten Mitarbeiter bekannt.

(Das Interview ist folgend auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 2/10.)

Vishy Anand
Vishy Anand (Foto: Harry Schaack)

KARL: Wie schätzen Sie die Qualität der Partien Ihres Matches ein, wie lautet Ihr Resümee?
ANAND: Es war ein sehr harter Fight, weil Topalow mehr oder weniger jede Partie bis zu Ende spielte. Nicht eine einzige Begegnung endete vor der vierten Stunde. Mir unterliefen einige Fehler, aber ich kann so kurz danach noch nicht sagen, ob das Match besser oder schlechter war als andere Matches.

Während des Matches ist mir aufgefallen, wie unglaublich konzentriert Sie waren. Auch in den Pressekonferenzen nach den Partien wirkten Sie noch sehr fokussiert und in sich gekehrt. Wie schaffen Sie es, über drei, vier Wochen hinweg eine solche Spannung zu halten?
Während einer solch intensiven Auseinandersetzung muss man sich abschotten, um sich nicht von zu vielen Kleinigkeiten ablenken zu lassen. Wenn das Match erst einmal begonnen hat, hat man sowieso nicht viel Zeit, über andere Dinge nachzudenken. Es ist so viel zu tun. Man darf seinen Rhythmus nicht verlieren.

Zunächst hatten Sie jedoch Startschwierigkeiten …
In den ersten Tagen fiel es mir schwer, mich richtig zu konzentrieren. Ich musste mich erst wieder an die ungewöhnliche Situation eines WM-Matchs gewöhnen. Zudem hatte ich wegen der mehrmonatigen Vorbereitung wenig Spielpraxis. Es dauerte etwas, bis die nötige Anspannung wieder da war. Aber nach der zweiten Partie fühlte ich mich langsam „zu Hause“. Und nach der dritten Partie war ich komplett im Match.

In einem Interview mit Chessbase erzählten Sie, dass Sie mit Kasparow, Carlsen und Kramnik prominente Hilfe hatten – eine sensationelle Enthüllung. Sie hatten vermutlich den besten Sekundantenstab der Schachgeschichte an Ihrer Seite … (lacht) Ja, vermutlich.

Wie ist es möglich, dass Sie von Ihren engsten Rivalen unterstützt werden?
Ja, das war wirklich interessant. Mit jedem von den Dreien verhält es sich jedoch verschieden. Mit Magnus, der auch mein Klubkamerad in Baden Baden ist, habe ich schon zuvor zusammengearbeitet, auch weil mein fester Sekundant Peter-Heine Nielsen sehr engen Kontakt zu ihm hat. Erstmals war Carlsen mein Sparringspartner für die WM in Mexiko 2007, das zweite Mal vor dem Match gegen Kramnik in Bonn 2008. Er wurde immer stärker und vor dem Match mit Topalow verzichtete ich auf eine Anfrage, weil er mittlerweile in der Weltrangliste ganz vorne stand. Aber dann bot er selbst seine Mitarbeit an. Das war eine sehr nette Geste von ihm. Ich spielte mit ihm – und übrigens auch mit Anish Giri – mehrere Partien und konnte so einige Eröffnungen und kritische Stellung testen.

Der Name, der in dieser Troika am meisten überrascht, ist wohl Kramniks, weil Sie mit ihm meines Wissens noch nie zusammengearbeitet haben.
Das stimmt, aber wir waren schon immer freundschaftlich verbunden. Seine Hilfe kam auch für mich völlig überraschend. So um die vierte Matchpartie herum kontaktierte er mich. Zunächst nur, um mich moralisch zu unterstützen. Doch dann, erfreut darüber, dass ich mich an seinem Elista-Match gegen Topalow orientierte und teilweise seine Lieblingseröffnungen spielte, sagte er, er habe hier und da einige Ideen und könne mir dieses Material schicken. Das war unglaublich hilfreich. Es gab unserem ganzen Team einen echten Schub – nicht nur schachlich, sondern auch mental.

War es nicht ein großes Risiko, so vielen Leuten, die nicht zum inneren Kreis Ihres Teams gehörten, Details Ihrer Vorbereitung zu verraten?
Nicht so sehr. Einiges Material kann man mit anderen teilen. Meine Priorität war, das Match zu gewinnen. Und da konnte der Kontakt mit Magnus und Wladimir nur nützlich sein.

Wie kam die Verbindung mit Garri Kasparow zustande?
Frederik Friedel von Chessbase knüpfte den Kontakt und irgendwann rief mich Garri tatsächlich an und fragte, ob er mir irgendwie helfen könne. Ich sagte, ok, ich sende Dir eine Liste von Fragen. Ich habe natürlich nicht erwartet, dass er jetzt wirklich hart dafür arbeitet, um alles zu beantworten. Aber er hat seine Analysen gecheckt und gab uns ein sehr gutes Feedback. Und ich denke, er hat sich schon mit der einen oder anderen Stellung länger beschäftigt. Auch seine Tipps waren sehr wertvoll.

Ich denke, eine so breite Unterstützung ist einzigartig.
Sicher, das war historisch. Dafür gab es noch keinen Präzedenzfall.

War es weise, über all diese Kontakte öffentlich zu berichten? Es sieht aus wie eine geschlossene Front gegen Topalow?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich habe den Zuspruch sehr geschätzt.

Viele Leute meinten im Vorfeld, dass es ein großes Risiko ist, in Bulgarien zu spielen, der Heimat Ihres Gegners. Was hatten Sie erwartet und wie war die Atmosphäre in Sofia?
Ich fühlte mich außerordentlich wohl in Sofia. Ich bin davon ausgegangen, dass die Zuschauer klar für Topalow sind, aber sie waren sehr fair. Unsere Unterkunft war ausgezeichnet. Wir hatten einen ganzen Trakt im Hilton Hotel für uns gebucht. Dort fühlten wir uns wie zu Hause. Deshalb kann ich nicht sagen, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn wir irgendwo anders gespielt hätten.

Und Sie hatten nicht mit einem Skandal wie in Elista 2006 beim Match Topalow gegen Kramnik gerechnet?
Man versucht sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Wenn die Spannung im Match irgendwann überbordet, dann muss man darauf vorbereitet sein. Aber wir haben nicht wirklich damit gerechnet.

Wie sah Ihre Eröffnungsstrategie im Vorfeld aus?
Eigentlich wollten wir erst zwei oder drei Grünfeld-Partien spielen, bevor wir zu unserer zweiten Eröffnung, dem Slawen, wechseln. Doch nach der drastischen Niederlage in der 1. Partie mussten wir viel früher als geplant den Grünfeld aufgeben. Während ich den Slawen spielte, war mein Team in der Lage, die Varianten zu verbessern. Ich litt zwar ein wenig in den Partien, aber ich denke, Slawisch stellte sich als gute Waffe heraus.
Generell waren wir in diesem Match nicht glücklich mit unserem Schwarz-Repertoire. Das lag daran, dass wir uns auf einen etwas „anderen“ Topalow vorbereitet hatten. In seinen Matches gegen Kramnik und Kamsky wechselte er ständig die Eröffnungen. Und darauf war unsere Vorbereitung ausgerichtet. Wir hatten uns auf mehrere Varianten eingestellt, aber keine ganz tief analysiert.
Im Laufe des Matches entschied ich mich deshalb, radikale Änderungen vorzunehmen. In der letzten Partie spielten wir eine Eröffnung, die eigentlich nicht vorbereitet war. Natürlich hatte ich mich schon intensiv mit der Stellung beschäftigt, aber vielleicht nicht so intensiv, wie es für ein langes Match nötig ist.

Deshalb konnte Topalow auch mit Weiß die Partien dominieren …
… bis auf die letzte Partie. In diesem Match war durchweg Weiß die dominierende Farbe. Das ist auch statistisch nicht verwunderlich. Die letzten sieben Siege in meinen Begegnungen mit Topalow waren alle mit Weiß. Ich gewann dreimal, er viermal. Diese Serie endete erst mit der 12. Partie in Sofia.

Welche Schwächen haben Sie im Spiel Topalows ausgemacht? Können Sie uns einen kleinen Einblick geben?
Topalow nimmt viel Risiko, und das ist nicht immer gerechtfertigt. Zudem spielt er generell all seine Partien bis zum Ende aus. Das ist eine Gefahr für jeden Gegner, aber auch eine Chance. Wenn man bis zum Ende spielen muss, kann man natürlich unter Druck geraten, aber man bekommt auch Gelegenheiten. Beide Spieler werden müde und es schleichen sich Fehler ein. Man muss sich darauf vorbereiten, harte Partien zu spielen, aber man bekommt auch Möglichkeiten, selbst wenn die Eröffnung nicht so gut gelaufen ist. Deshalb war ich während des Matches stets optimistisch, auch nach der Niederlage in der 8. Partie. Ich dachte, ok, jetzt sind wir wieder da, wo wir am Anfang standen.

Das Interview führte Harry Schaack

(Das Interview ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 2/10.)