SCHACHTHEORIE EINES VERHINDERTEN SCHACHPRAKTIKERS

Der Schachanalytiker Tassilo von Heydebrand und der Lasa

Von Michael Negele

Tassilo von der Heydebrand und der Lasa
Tassilo von Heydebrand und der Lasa (Quelle: Biblioteka Kórnicka)

Praxis eines Theoretikers nannte Prof. Albert Becker seine 1975 in Argentinien erschienene Partiesammlung, die einleitende Definition des „Eröffnungstheoretikers“ mag Maßstab für die Beurteilung der von Tassilo von Heydebrand und der Lasa geleisteten Beiträge zum Theorie-Gerüst des Schachs sein. Der Wiener nennt so einen Meister, „der der Schachwelt in Theorie und Praxis neue Wege weist (…).“ Für sich selbst sah er die Bezeichnung „Theorie-Kenner“ als zutreffender an, wie dies „z.B. Schlechter bei der Abfassung der 8. Auflage des „Bilguer“ war. Auch die Etikette Analytiker kommt in Frage. Mein großes Bestreben war es immer, die Erkenntnisse anderer Meister zu überprüfen und systematisch einzuordnen.“

Damit scheint von der Lasas Anspruch bestens charakterisiert: Seine analytischen Partien, also eine eher eingeschränkte Praxis ging unmittelbar in die Zusammenstellung der ihm bekannten Schachtheorie, in das Handbuch von 1843, über. Er betrachtete dabei jede seiner Partien als Analyse der Eröffnung, die in Tabellenform untergebracht werden konnte. Die vorsichtig-zurückhaltende Beurteilung der resultierenden Stellungen mag als Indiz gelten, dass sein Interesse am weiteren Partieverlauf eher zweitrangig war.

Neben dem Handbuch entwarf er schon 1848 seinen „kleinen Bilguer“. Es war ein Eröffnungs-Extrakt des großen Vorbildes inklusive einfacher Endspiele, also ein Leitfaden für Schachspieler. Ursprünglich wollte der Autor diesen Leitfaden anonym herausgeben, er war für Anfänger gedacht, doch dieser wird damit offenkundig überfordert. Es mag zudem eine Abneigung bei von der Lasa bestanden haben, Musterpartien einzubringen. Erst in den späteren Auflagen (bis 1876) wurde dem drängenden Wunsch der Leserschaft entsprochen. Die fünfte Auflage (1880) besorgte Dr. Constantin Schwede aus Dresden. Von der Lasa widmete sich damals seinen historischen Studien, die Rücksicht des Verlages auf „sein vorgeschrittenes Alter und besonders auf die zunehmende Schwäche seiner Augen“ (so Schwede im Vorwort zur sechsten Auflage des Handbuchs, ebenfalls 1880) mag über dessen Desinteresse an der erneuten Bearbeitung hinweggeblickt haben.

Unbestritten bleibt die Bedeutung des Handbuches als „ein entscheidender Wendepunkt in der Entwicklung des Schachspiels, in erster Linie in Deutschland“, wie es Hermann von Gottschall in der DSZ der siebten, von Emil Schallopp hervorragend redigierten Auflage im Oktober 1890 (S. 289) bescheinigte. Von der Lasa war verdienstvoller Kompilator, grundlegende Beiträge zur rasch wachsenden Eröffnungstheorie schufen hingegen erst die Meister der zweiten Berliner Schule: Berthold Suhle, Jean Dufresne, Johannes Hermann Zukertort und Gustav Richard Neumann.