CHAMPIONS MAL ANDERS

Von Harry Schaack

Marins Learn from the Legends

Mihail Marin,
Learn from the Legends –
Chess Champions at their Best,
Quality Chess 2004,
312 S., kartoniert,
etwa 27,- Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Der Titel Learn from the Legends – Chess Champions at their Best verspricht viel – und schürt Assoziationen beim Leser. Nichtsdestoweniger überrascht der Inhalt des Buches. Der rumänische Großmeister Mihail Marin, der bereits mit seiner ersten viel beachteten Publikation Secrets of Chess Defence ein originelles Thema und ein wenig beackertes Terrain betrat (vgl. Karl 4/03, S.20), findet auch bei der Präsentation der „Großen“ der Schachgeschichte einen ganz eigenen Weg. Er bietet nicht im Sinne eines „Best of“ Glanzstücke dar, sondern präsentiert mit einer sehr persönlichen Note zumeist ungewöhnliche Endspiele. Er hat acht Spieler ausgewählt, die ihn durch die meisterhafte Behandlung eines spezifischen Stellungstyps hinsichtlich seiner eigenen Schachkarriere tief beeinflusst haben. Im Einzelnen untersucht er Rubinsteins Turmendspielkunst, Aljechins Dame-Turm-Endspiele, Botwinniks guten Springer gegen den schlechten Läufer, Tals Turm gegen zwei Leichtfiguren, Petrosjans Qualitätsopfer, Fischers Liebe zum Läufer, ungleiche Läuferendspiele Karpows, sowie die Universalität Viktor Kortschnois.

Jedes Kapitel leitet Marin mit seinen Erfahrungen ein und macht den Einfluss deutlich, den die Champions auf seine schachliche Entwicklung hatten. Zur Illustration stellt er nicht selten eigene Partien an den Anfang der Kapitel. Der Leser erfährt aber auch etwas über die erste Begegnung des Autors mit seinen Protagonisten. Beispielsweise trug Marin bei seinem Militärdienst eines seiner Schachbücher ständig bei sich. Für seine Auswahl war weniger der Inhalt als das handliche Format und die robuste Fertigung des Buches entscheidend. Zufällig fiel seine Wahl auf ein Werk über Rubinstein, das bald zu seiner Schachbibel avancierte. An anderer Stelle beschreibt der Autor seine Sammelleidenschaft für russische Schachbücher. Als er dachte, er hätte alle wichtigen Bücher über seinen rumänischen Antiquar ergattert, fand er eines Tages ein Buch Botwinniks über Karpow, das er bislang nicht kannte. Erst später erfuhr er, dass diese Publikation kurz nach Erscheinen wieder aus den Verkaufsregalen verschwand, da große Teile über Viktor Kortschnoi handelten, den die Sowjetunion nach seiner Emigration zur Persona non grata degradierte.

Es ist jedoch nicht nur die persönliche Art der Anneignung, sondern auch die Themenauswahl, die die Lektüre dieses Buchs zu einem Genuß macht. Marins Stärke besteht in der tiefen Analyse des vorhandenen Materials und in der klaren, prägnanten Darstellung der Stellungsmerkmale. Anhand der Virtuosität Rubinsteins beschreibt er die Kunst, langfristige Pläne von der Eröffnung bis ins Endspiel anzustreben. Karpows Fähigkeiten in ungleichen Läuferendspielen, die oft zu Unrecht generell als Remis bewertet werden, untermauert Marin mit grundsätzlichen Erläuterungen zur Charakteristik dieses Stellungstyps. Zur Klarheit der Darstellung tragen auch die Unterkapitel jedes Abschnitts bei, die den Stoff thematisch strukturieren und kategorisieren.

Häufig wählt Marin seltenes Material wie im Kapitel über Petrosjans Turmopfer. Zuweilen greift er allerdings auch sehr populäre Beispiele auf wie die 9. Matchpartie des WM-Kampfs 1984 zwischen Karpow und Kasparow, um das Thema guter Springer gegen schlechten Läufer zu verdeutlichen. Diese Stellung zählt zu den meist analysierten der Schachgeschichte. Und zu den kompliziertesten. Marin setzt sich auf nicht weniger als zehn Seiten mit dem vorhandenen Analysematerial auseinander und findet erstaunlich viel Neues. Kurz vor der Drucklegung seines Buches erschien ein Artikel Timmans zum selben Thema, der zu einem anderen Ergebnis gelangte. Marin beschreibt seine Alpträume, als er davon hörte, konnte aber gerade noch rechtzeitig die neuen Erkenntnisse des Holländers in seine Analyse integrieren und zum Teil auch widerlegen. Diese kleine Anekdote illustriert, wie sorgfältig und gewissenhaft der Autor vorgegangen ist.

Mihail Marins Learn from the Legends ist ein herrliches Buch, das einen ungewohnten, teils überraschenden Blick auf acht der stärksten Spieler der Schachgeschichte wirft. Es ist kein herkömmliches Endspielbuch, sondern eines, das sich mit speziellen Materialkonstellationen beschäftigt. Die gelungene Präsentation des Materials und die sachkundigen Einschätzungen des Autors machen das Buch absolut empfehlenswert für ambitionierte Turnierspieler.